Dr. Peter Stelmaszczyk, Stefan Wegerhoff
Rz. 1404
Zunächst sind auf die EWIV die Bestimmungen der Verordnung anzuwenden. Diese regeln insb. die Gründung und die innere Verfassung der EWIV. Damit ist der Regelungsinhalt der EWIV-VO gering.
Vorbehaltlich der Verordnung ist das innerstaatliche Recht des Staates anzuwenden, in dem die Vereinigung nach dem Gründungsvertrag ihren Sitz hat, und zwar einerseits auf den Gründungsvertrag mit Ausnahme der Fragen, die den Personenstand und die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit natürlicher Personen sowie die Rechts- und Handlungsfähigkeit juristischer Personen betreffen, und andererseits auf die innere Verfassung der Vereinigung (Art. 2 Abs. 1 EWIV-VO). Soweit die Verordnung also nicht selbst die Gründung und die innere Verfassung der EWIV regelt, ist insoweit subsidiär das entsprechende nationale Recht des Sitzstaates anwendbar.
Teilweise verweist die Verordnung selbst auch an anderen Stellen auf das nationale Recht des Sitzstaates für bestimmte Regelungsmaterien.
Beispiel
In Art. 36 EWIV-VO wird auf das Insolvenzrecht verwiesen.
In den von der Verordnung ohnehin nicht erfassten Bereichen gelten die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft.
Beispiele
Im Arbeits- und Sozialrecht, im Wettbewerbsrecht und im Recht des Geistigen Eigentums (aus den Erwägungsgründen).
Auf den Rechtsgebieten, zu denen sich die Verordnung gar nicht verhält, sind die insoweit anwendbaren Rechtsnormen also nach allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln, d.h. nach kollisionsrechtlichen und nach sachrechtlichen Normen des Europäischen wie des nationalen Rechts.
Rz. 1405
Soweit die Verordnung nicht gilt, sind auf eine EWIV mit Sitz in Deutschland die Vorschriften des deutschen Ausführungsgesetzes, i.Ü. entsprechend die für eine offene Handelsgesellschaft geltenden Vorschriften anzuwenden (§ 1 EWIV-AusfG). Da sich der deutsche Gesetzgeber somit dafür entschieden hat, die EWIV als OHG zu behandeln, sind auf sie die §§ 105 ff. HGB und subsidiär die §§ 705 ff. BGB anwendbar. In Teilbereichen, wie der Bestellung der Geschäftsführer der Vereinigung, entspricht das Recht der EWIV im Einklang mit der deutschen Ausführungsgesetzgebung allerdings auch deutschem materiellem GmbH-Recht. Eine EWIV mit Sitz in Deutschland ist Handelsgesellschaft kraft Rechtsform (§ 1 EWIV-AusfG). Für sie gelten daher die Vorschriften des HGB und die Vorschriften über die Verfahren in Registersachen und unternehmensrechtliche Verfahren aus dem Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§§ 374–409 FamFG).
Soweit zwingendes europäisches und subsidiär anwendbares nationales Gesetzesrecht es jeweils zulassen, gelten für die EWIV der Inhalt ihres Gründungsvertrages und die Beschlüsse ihrer Mitglieder.
Rz. 1406
Das Registerrecht und die Registerpublizität der EWIV (Art. 39 EWIV-VO) unterliegt wie gewohnt der lex fori. Weitere klassische Angelegenheiten der Mitgliedstaaten stellen die Tätigkeit der EWIV und deren Sanktionierung dar. Übt eine Vereinigung in einem Mitgliedstaat eine Tätigkeit aus, die gegen dessen öffentliches Interesse verstößt, so kann eine zuständige Behörde dieses Staates diese Tätigkeit untersagen. Gegen die Entscheidung der zuständigen Behörde muss ein Rechtsbehelf bei einem Gericht eingelegt werden können (Art. 38 EWIV-VO). Das EWIV-AusfG sieht ggü. Geschäftsführern und Abwicklern auf dem Gebiet des Ordnungswidrigkeitenrechts Zwangsgelder des Registergerichts (§ 12 EWIV-AusfG) sowie auf dem Gebiet des Nebenstrafrechts Strafen für falsche Angaben (§ 13 EWIV-AusfG) und für die Verletzung der Geheimhaltungspflicht (§ 14 EWIV-AusfG) vor.
Der Verordnungsgeber hatte festgestellt, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Personen, Gesellschaften und anderen juristischen Einheiten auf rechtliche, steuerliche und psychologische Schwierigkeiten stoßen kann (aus den Erwägungsgründen). Damit dürfte insb. auch der Umstand gemeint sein, dass sich zumindest einer der Kooperationspartner der EWIV zwangsläufig einem für ihn fremden Recht unterwerfen muss. Das Ziel des Abbaus dieser Schwierigkeiten erscheint jedoch mit der vorliegenden Regelungskonzeption verfehlt. Wie an der vorangehenden Rechtsquellenpyramide deutlich wird, ist das auf die Angelegenheiten der EWIV anwendbare Recht weder ein supranationales europäisches Recht noch wenigstens ein einziges bestimmtes nationales Recht.
Hinweis
Angesichts der Tatsache, dass verschiedene nationale Rechte in einem komplizierten Zusammenwirken die Angelegenheiten der EWIV regeln, sollte der Gesellschaftsvertrag sorgfältig und detailliert ausgearbeitet werden und damit so wenig wie möglich der Regelung durch die sonst anwendbaren Gesetze überlassen werden.