Dr. Peter Stelmaszczyk, Stefan Wegerhoff
Rz. 705
Sowohl Geschäftsführungs- als auch Vertretungsbefugnis können auf Antrag aller übrigen Gesellschafter, einschließlich der Kommanditisten, durch Urteil entzogen werden, wenn hierfür ein wichtiger Grund vorliegt (§§ 116 Abs. 5, 124 Abs. 5 HGB). Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalles und nach Abwägung aller beteiligten Interessen ein Fortbestand der Geschäftsführungsbefugnis bzw. Vertretungsmacht für die Gesellschaft und die Mitgesellschafter unzumutbar ist, insb. wenn die Ausübung der Geschäftsführungsbefugnis bzw. Vertretungsmacht durch einen Gesellschafter das Vertrauensverhältnis zwischen den Gesellschaftern nachhaltig zerstört hat. §§ 116, 124 HGB nennen als wichtigen Grund insb. die grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung bzw. Vertretung der Gesellschaft. Dass die Entziehung des Rechtes im Interesse der Gesellschaft liegt, reicht allein nicht aus. Bei einer Publikums-KG soll der Vertrauensentzug der Mehrheit der Anleger entsprechend § 84 Abs. 3 AktG einen wichtigen Grund darstellen.
Die Regelungen der §§ 116 Abs. 5, 124 Abs. 5 HGB sind im Wesentlichen dispositiv. Der Gesellschaftsvertrag kann die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis also weiter erschweren oder aber auch erleichtern. Es ist u.a. möglich, gesellschaftsvertraglich die Entziehung nur bei ganz bestimmten wichtigen Gründen zuzulassen, andererseits können auch bestimmte absolute Gründe genannt werden, die unabhängig von ihrer Wichtigkeit zur Entziehung ermächtigen. Auch verfahrensmäßige Erleichterungen im Gesellschaftsvertrag sind zulässig, z.B. Entziehung durch Gesellschafterbeschluss.
Nicht durch Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden kann die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung. Der Gesellschaftsvertrag kann auch nicht die Entziehung aus wichtigem Grund völlig ausschließen.
Rz. 706
Meist wird die Entziehung von Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis gleichzeitig beantragt. Bei dem Verfahren handelt es sich um einen Gestaltungsprozess. Die Entziehung wird erst mit Rechtskraft des Gestaltungsurteils wirksam. Das Gesetz sieht vor, dass alle übrigen Gesellschafter als Kläger gegen den von der Einziehung betroffenen Mitgesellschafter prozessieren. Regelmäßig erhebt jedoch nur ein Gesellschafter die Einziehungsklage. Dieser muss dann die anderen Gesellschafter mitverklagen, und zwar nach herrschender Meinung auf Zustimmung zur Entziehung. Bei einer KG, bei der nur ein Komplementär vorhanden ist, scheitert nach Auffassung des BGH die Entziehung der Vertretungsbefugnis, weil sonst ein rechtlich unmöglicher Zustand entstehen würde.
Rz. 707
Ist nach dem Gesellschaftsvertrag die Entziehung durch Beschluss möglich, wird sie mit dessen Bekanntgabe an den betroffenen Gesellschafter wirksam.
Rz. 708
Wie bei allen Eingriffen in Rechtsstellungen aus wichtigem Grund ist auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Eine vollständige Entziehung der Vertretungsbefugnis kommt daher nur in Betracht, wenn mildere Mittel nicht ausreichen, um den unzumutbaren Umstand für die Mitgesellschafter zu beseitigen. Als milderes Mittel zur vollständigen Entziehung der Vertretungsbefugnis kommt z.B. eine Beschränkung der Vertretung auf die nach § 124 HGB zugelassenen Formen in Betracht.
Hinweis
In prozessualer Hinsicht ist allerdings zu beachten, dass die Teilentziehung nicht ein bloßes Minus zur vollständigen Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis ist. Es handelt sich vielmehr um verschiedene Streitgegenstände. Hält das Gericht also die vollständige Entziehung für nicht verhältnismäßig und daher nicht gerechtfertigt, kann es nicht die teilweise Entziehung anordnen. Mangels eines entsprechenden Antrags würde dies gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen. Das Recht zur Geschäftsführung und Vertretung kann auch im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes durch einstweilige Verfügung entzogen werden.