Dipl.-Phys. Klaus Schmedding
A. Verdacht des gestellten oder provozierten Unfalls
Rz. 1
Das Motiv für einen (versuchten) Versicherungsbetrug können z.B. Vorschäden am Pkw sein, die entweder gar nicht oder primitiv behoben wurden. Nicht selten sind auch massive technische Defekte (z.B. Motorschaden) oder auch eine nur schlechte Verkäuflichkeit eines Kfz ein Anlass, weil das jeweilige Modell entweder am Markt nicht gefragt ist oder sehr hohe Laufleistungen aufweist (z.B. ein Fahrzeug für Personenbeförderung).
Rz. 2
Hat der Versicherer Anhaltspunkte für eine solche Motivlage, so wird in aller Regel akribisch nachgeforscht. Das Hauptaugenmerk wird oftmals auf nicht sach- und fachgerecht reparierte Unfallschäden (Recherche nach Vorunfällen) gelegt. Verschweigt der Anspruchsteller derlei Vorschäden, hat er die Unwahrheit gesagt und geht nicht selten vor Gericht "leer aus". Da hilft es auch nicht, wenn im Nachhinein der zunächst beauftragte Schadensachverständige die Positionen, die sicher nicht zum behaupteten Unfallgeschehen gehören, herausrechnet, hätte ja der Anspruchsteller im Vorfeld der Schadenanmeldung hierauf hinweisen müssen. Gleichermaßen ist auch ein verschwiegener, zu geringer Tachostand nicht selten Anlass für eine Klageabweisung.
Rz. 3
Schwebt der Vorwurf eines manipulierten Unfallgeschehens im Raum, so wird im Regelfall ein unfallanalytisches Gutachten eingefordert, das sich zunächst damit zu beschäftigen hat, ob die an den Kfz eingetretenen Beschädigungen kompatibel sind, also zueinander passen (deckungsgleich sind).
In dem für die Versicherung günstigsten Fall kann dann der Sachverständige feststellen, dass die streitgegenständlichen Fahrzeuge nie aneinander geraten sind, weil man keine Übereinstimmungen zwischen den Schadensbildern feststellen kann. Hier sind die Schäden in puncto Höhenlage, Ausbildung und Entstehungsrichtung einzuordnen. Auch die Frage der Verformungsfreudigkeit (Stabilität) der jeweils kontaktierenden Karosseriezonen ist selbstverständlich bedeutungsvoll.
Rz. 4
Kommt allerdings der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass eine vollständige Schadenkompatibilität vorliegt, so wird nicht selten der Vorwurf erhoben, dass es sich dabei um einen provozierten Unfall handelt. Im letztgenannten Fall könnte die Motivlage ein Vorschaden am Kfz sein, der mit abgerechnet werden soll. Als Beispiel sei hier eine quasi vom "Betrüger" durchgeführte, unmotivierte Vollbremsung in Annäherung an eine Lichtzeichen wechselnde Ampelanlage genannt. Hiervon kann der nachfolgende Kfz-Führer überrascht sein, so dass es dann zu einem Auffahrunfall kommt. War das Fahrzeug des Anspruchstellers im Heckbereich bereits vorgeschädigt, so kann durch diesen "Nachschaden" das Erscheinungsbild des Kfz komplett verändert werden, d.h. der Vorschaden wird überdeckt.
Rz. 5
Nicht selten trifft man aber auch die Betrugsform "gestellter Unfall" an. Beispielsweise werden dann ordnungsgemäß abgeparkte Kfz in entlegenen Straßenzonen (des Nachts) von einem vorbeifahrenden anderen Kfz seitlich gestreift. Als Grund für das vom Unfallverursacher durchgeführte Fahrmanöver gibt er z.B. einen entgegenkommenden, verkehrswidrig fahrenden (unbeleuchteten) Radfahrer an, den er nicht habe verletzen wollen. Dieser verschwindet dann nachkollisionär "natürlich" von der Unfallstelle. Vom Unfallverursacher wird dann die Polizei hinzugerufen, um dem stattgefundenen Ereignis einen "offiziellen Anstrich" zu geben.
B. Plausibilitätsbetrachtungen
Rz. 6
Wird ein solcher Unfall geschickt durchgeführt, so ist er in der Regel nur schwer als Betrug aufzudecken, es sei denn, man findet z.B. am geschädigten Fahrzeug klare Anhaltspunkte dafür, dass im Kontaktverlauf die Lenkung nicht zurückgenommen wurde oder aber z.B. vom Unfallverursacher beschleunigt wurde. Nicht selten sind dann im Rahmen von Plausibilitätsbetrachtungen Ungereimtheiten aufzeigbar, die dann Anlass für das Gericht geben können, den Anspruch des Klägers zu versagen.
I. Kompatibilität der Schäden
Rz. 7
Bevor man solche Plausibilitätsbetrachtungen durchführt, muss aber vorab geprüft werden, ob die Schäden an den Kfz zueinander passen, also kompatibel sind. Hat man zwei Schadensbilder unterschiedlicher Kfz, so kann man die Höhenlage eben jener beeinträchtigten Zonen vergleichen. Dies geschieht über die evtl. noch verfügbaren Fahrzeuge, ansonsten über maßstäblich fotografierte Vergleichsfahrzeuge oder hinreichend genaue Skizzen. Einen Hinweis darauf, ob der Unfallverursacher vorkollisionär reagiert hat, liefert eben dieser Höhenvergleich. Bekanntermaßen nicken Fahrzeugfrontstrukturen im Rahmen von (Not-)Bremsvorgängen im Frontbereich ein.
Abb. 9.1a
Während in der Abb. 9.1a die Kfz in quasi-statischen, also weder beschleunigten noch verzögerten Zuständen kontaktieren (Heckauffahrkollision), so kann sich eine ganz erhebliche Höhenverschiebung dadurch ergeben, dass der Vorder- wie aber auch der Hintermann abbremst, Abb. 9.1b.
Abb. 9.1b
Wie man sieht, trifft dann der oberste Frontbereich des hinteren Kfz die unterste Karosseriezone des Vordermannes. Er würde diese Partie also quasi unterfahren, während es in der Abb. 9.1a zu einer Kontaktierung de...