A. Bedeutung des Verkehrswerts
Rz. 1
In jedem Zwangsversteigerungsverfahren ist von Amts wegen der Verkehrswert des zu versteigernden Grundbesitzes festzusetzen, § 74a Abs. 5 ZVG. Der Verkehrswert wird durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften der sonstigen Beschaffenheit der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstandes der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre, § 194 BauGB. Die Wertermittlung und -festsetzung soll einer Verschleuderung des beschlagnahmten Grundstücks entgegenwirken und den Bietinteressenten eine Orientierungshilfe für ihre Entscheidung geben.
Rz. 2
Der Verkehrswert wird nicht nur für bebaute und unbebaute Grundstücke ermittelt, sondern auch für Wohnungs- und Teileigentum oder grundstücksgleiche Rechte, die der Versteigerung unterliegen, z.B. Erbbaurecht etc.
Rz. 3
Bei der Versteigerung mehrerer rechtlich selbstständiger Grundstücke oder grundstücksgleicher Rechte ist jeweils ein gesonderter Verkehrswert festzusetzen. Gleiches gilt für ein Gesamtausgebot und für jedes Gruppenausgebot. Werden die Anträge zur Erstellung eines Gesamt- oder Gruppenausgebots erst im Versteigerungstermin gestellt, wird zweckmäßigerweise auch der Wert dann erst festgesetzt. Bei der Zwangsversteigerung entspricht der Verkehrswert eines Miteigentumsanteils grundsätzlich dessen rechnerischem Anteil an dem Verkehrswert des gesamten Grundstücks.
Rz. 4
Aus der Sicht des Gerichts ist der Verkehrswert von Bedeutung:
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für die Berechnung der Verfahrenskosten, |
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für die Verteilung von Gesamtrechten, §§ 64, 112, 122 ZVG, |
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für die Errechnung der 5/10-Grenze, 7/10-Grenze, §§ 85a, 74a ZVG. |
Rz. 5
Für den Schuldner erlangt der Verkehrswert Bedeutung:
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bei Zahlungsauflagen im Rahmen eines Antrags auf einstweilige Einstellung, § 30a Abs. 3 ZVG; |
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bei einem Antrag auf Zuschlagsversagung wegen möglicher Verschleuderung des Grundstücks, § 765a ZPO; |
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hinsichtlich der Befriedigungsfiktion gem. § 114a ZVG. |
Rz. 6
Für den betreibenden Gläubiger des Verfahrens gelten ebenfalls die zuvor genannten Gründe, insbes. auch die Grenzen der Befriedigungsfiktion nach § 114a ZVG. Der für das Zwangsversteigerungsverfahren festgesetzte Verkehrswert ist auch bei der Anwendung des § 114a ZVG für das Prozessgericht bindend.
B. Festsetzungsverfahren
I. Sachverständiger
Rz. 7
Regelmäßig wird der Verkehrswert durch einen öffentlich bestellten Gutachter geschätzt, möglich ist jedoch auch die Beauftragung eines Gutachterausschusses.
Rz. 8
Für die Richtigkeit des Wertgutachtens, das der Verkehrswertfestsetzung zugrunde gelegt wird, kann der Ersteher jedoch nicht gegen den Gutachterausschuss aus Amtspflichtverletzung vorgehen. Die Festsetzung obliegt dem Gericht. Ist das Gutachten unvollständig, darf das Gericht dem Gutachten des Sachverständigen nicht folgen. Bei der Bestimmung des Verkehrswerts des zu ersteigernden Grundstücks hat das Versteigerungsgericht aber nur zu prüfen, ob der Sachverständige sachkundig und frei von Widersprüchen nach allgemein gültigen Regeln den Wert ermittelt hat.
Rz. 9
Dies schließt Schadensersatzansprüche nach § 839 BGB regelmäßig aus. Eine Haftung für eine unrichtige Wertfestsetzung durch den Rechtspfleger aufgrund eines fehlerhaften Gutachtens eines gerichtlich bestellten Sachverständigen setzt daher voraus, dass die Fehlerhaftigkeit für den Rechtspfleger nur aufgrund Vorsatzes oder grober Fahrlässigkeit nicht erkennbar war.
Rz. 10
Stellt sich nach Abschluss des Verfahrens die Fehlerhaftigkeit der Verkehrswertfestsetzung heraus, fragt sich, ob der gerichtlich beauftragte Sachverständige gegenüber dem Ersteher haftet. Nach § 839a Abs. 1 BGB gilt: Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht. Nach § 839a Abs. 2 i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Beispiel
(für grobe Fahrlässigkeit; OLG Brandenburg)
Es liegt eine fehlerhafte Wohnflächenberechnung vor. Der Sachverständige hat eine Eigen...