Dr. Holger Niehaus, Detlef Burhoff
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Verteidiger wird von der Möglichkeit eines Ablehnungsgesuchs nicht unnötig Gebrauch machen. |
2. |
Ein SV kann aus denselben Gründen abgelehnt werden, die auch beim Richter zur Ablehnung berechtigen. |
3. |
Das Ablehnungsgesuch ist erst zulässig, wenn der SV ernannt ist. Es kann auch noch nach Erstellung des Gutachtens gestellt werden. Nach begründeter Ablehnung scheidet der SV aus dem Verfahren aus. Er kann aber als Zeuge oder sachverständiger Zeuge gehört werden. |
4. |
Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch kann grundsätzlich nur über das Rechtsmittel gegen die Entscheidung des erkennenden Gerichts angefochten werden (Rechtsbeschwerde), nicht aber isoliert im Wege des Antrags auf gerichtliche Entscheidung oder der Beschwerde. |
Rdn 8
Literaturhinweise:
Eisenberg, Zur Ablehnung des Sachverständigen im Strafverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit, NStZ 2006, 368
Fezer, Die Folgen der Sachverständigenablehnung für die Verwertung seiner Wahrnehmungen, JR 1990, 397
Krause, "Absolute" Befangenheitsgründe beim Sachverständigen, in: FS für Maurach, 1972, S. 549
Krekeler, Der Sachverständige im Strafverfahren, besonders im Wirtschaftsstrafverfahren, wistra 1989, 52 ff.
ders., Strafverteidigung mit einem und gegen einen Sachverständigen, StraFo 1996, 5 ff.
Rueber-Unkelbach, Ablehnung von Sachverständigen und Dolmetschern in der Praxis, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Detlef Burhoff, 2020, S. 95
Wiegmann, Ablehnung von Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden als Sachverständige (§ 74 StPO), StV 1996, 570.
Rdn 9
1. In OWi-Verfahren ist insbesondere der verkehrstechnische SV ein wichtiges Beweismittel, sei es, dass er bestimmte Spuren zu analysieren hat, sei es, dass er die Funktionsweise und mögliche Mängel eines Kfz, einer Verkehrsanlage, die Ordnungsgemäßheit einer Geschwindigkeitsmessung oder die Auswertung einer Diagrammscheibe zu beurteilen hat.
Rdn 10
Der Verteidiger wird von der Möglichkeit eines Ablehnungsgesuchs nicht unnötig Gebrauch machen – schon um das Wohlwollen des Sachverständigen oder des Gerichts, das ggf. die Absicht der Prozessverzögerung vermuten könnte, nicht zu gefährden. In manchen Fällen bleibt indes nur die Ablehnung, um eine objektive Begutachtung zu erzwingen. Dann sollte der Verteidiger darauf – im Interesse des Betroffenen – auch nicht verzichten (vgl. Burhoff, HV, Rn 17; zur Taktik a. Rueber-Unkelbach, a.a.O., S. 95 ff.).
Rdn 11
Im EV der Verfolgungsbehörde ist die Ablehnung eines SV allerdings nicht zulässig, da § 74 StPO, der sinngemäß für das Bußgeldverfahren gilt, erst anwendbar ist, wenn die Sache gerichtlich anhängig ist (BGH VRS 29, 26; KK/Lutz, § 59 Rn 81). Wird jedoch im EV bei der Verfolgungsbehörde ein Ablehnungsantrag gestellt und ist ein Ablehnungsgrund gegeben, hat die Verfolgungsbehörde von der ihr zustehenden Möglichkeit Gebrauch zu machen und die Beauftragung des SV zurückzunehmen. Im anderen Fall würde gegen einen auf dem Gutachten des befangenen SV beruhenden Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt und wegen der Befangenheit des SV eine richterliche Entscheidung herbeigeführt, ein neuer SV vom Gericht bestellt und ein neues Gutachten erstellt werden müssen. Dies wäre mit dem Beschleunigungsgebot nicht zu vereinbaren und würde sowohl Zweckmäßigkeitsgründen als auch Wirtschaftlichkeitsgründen widersprechen (KK/Lutz, § 59 Rn 81).
Rdn 12
2. Nach § 74 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 kann ein SV aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Beim Sachverständigen gibt es keine Ausschließungsgründe wie beim Richter in § 22 Nr. 1–4 StPO. Die dort geregelten Umstände bilden jedoch sog. zwingende Ablehnungsgründe, die nach herrschender Meinung notwendigerweise dazu führen, dass dem Ablehnungsgesuch ohne weitere Prüfung stattzugeben ist (Meyer-Goßner/Schmitt, § 74 Rn 3 m.w.N.; Burhoff, HV, Rn 19 ff.; a.A. Krause, FS Maurach, S. 551).
Rdn 13
Daneben kann ein Sachverständiger – wie ein Richter – wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (Rdn 15; → Ablehnungsgründe, Befangenheit, Rdn 41). Auch hinsichtlich des Verhaltens und der Äußerungen eines SV kommt es darauf an, ob aus der Sicht des ablehnenden Betroffenen Gründe vorliegen, die sein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des SV auch für einen Dritten verständlich und gerechtfertigt erscheinen lassen (BGH NJW 1955, 1765; 1956, 271; BGH StV 2011, 728 = wistra 2011, 335 = StRR 2011, 429; StV 2011, 709; KK/Hadamitzky, § 74 Rn 4; Meyer-Goßner/Schmitt, § 74 Rn 4). Eine mögliche Befangenheit des SV kann sich aus Fehlern im Vorgehen, aus Eigeninteressen oder aus Kompetenzüberschreitungen ergeben (Eisenberg NStZ 2006, 372; auch Rueber-Unkelbach, a.a.O., S. 95 ff.).
Rdn 14
Die Bedenken gegen die Unparteilichkeit müssen sich grds. aus dem Verfahren ergeben, in dem der SV wegen Befangenheit abgelehnt werden soll. Vorkommnisse aus einem anderen Verfahren genügen i.d.R. nur dann, wenn die Gründe, die damals zur Befangenheit geführt haben, weiterhin Geltung haben (BGH ...