Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen an der Unparteilichkeit eines Richters zu hegen. Es kommt entscheidend auf die Sicht eines "vernünftigen Betroffenen" an.
2. Das Verhalten oder die Äußerungen des Richters innerhalb und außerhalb der HV können eine Ablehnung wegen Befangenheit begründen.
3. Ebenso können auch die persönlichen Verhältnisse und Beziehungen des Richters einen Ablehnungsgrund darstellen.
 

Rdn 42

 

Literaturhinweise:

Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969

ders., Ausschließung und Ablehnung des Richters im Wiederaufnahmeverfahren, NJW 1971, 111

Dahs, Ablehnung von Tatrichtern nach Zurückweisung durch das Revisionsgericht, NJW 1966, 1691

Fromm, Die Ablehnung eines Bußgeldrichters wegen Besorgnis der Befangenheit, DAR 2009, 69

ders., Hauptverhandlung oder "Scheinverhandlung" vor Gerichten in Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen, zfs 2020, 368

Meyer-Mews, Der Befangenheitsantrag nach erfolgloser Gegenvorstellung, StraFo 2000, 369

Nierwetberg, Strafanzeige durch das Gericht, NJW 1996, 432

Rabe, Ablehnung des Strafrichters bei provokativem oder beleidigendem Verhalten des Angeklagten oder seines Verteidigers, NJW 1976, 172

ders., Zur Zulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs gemäß § 26a I Nr. 2 StPO, NStZ 1996, 369

Schmuck/Leipner, § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO und Befangenheitsantrag, NJOZ 2012, 2153 = SVR 2012, 91

Strate, Richterliche Befangenheit und rechtliches Gehör, in: Festgabe für Koch, 1989, S. 261

s. auch die Hinw. bei → Ablehnung eines Richters, Allgemeines, Rdn 1.

 

Rdn 43

1. Für den in der Praxis wichtigsten Ablehnungsgrund, die Besorgnis der Befangenheit gem. § 24 StPO, kommt es nicht darauf an, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen ist (vgl. BVerfGE 20, 9, 14; BGHSt 24, 336, 338), der Richter sich selbst für befangen hält oder Verständnis für die Zweifel an seiner Unbefangenheit aufbringt (BVerfG, a.a.O.). Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Unter Befangenheit ist dabei eine "innere Haltung" des Richters zu verstehen, die seine Distanz, Neutralität und Unparteilichkeit gegenüber den Verfahrensbeteiligten störend beeinflussen kann (vgl. BVerfGE 21, 139, 146; BGH NStZ 2016, 218 = StraFo 2016, 150 = StRR 3/2016, S. 12; KK-StPO/Heil, § 24 Rn 3; vgl. dazu auch EGMR NJW 2009, 2870). Die üblichen dienstlichen Erklärungen mit dem Inhalt: "Ich fühle mich nicht befangen" oder: "Ich bin nicht befangen" sind für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ohne jede Bedeutung. Es kommt entscheidend auf die Sicht eines "vernünftigen Betroffenen" an.

 

Rdn 44

 

☆ Die Ablehnungsgründe können in drei Gruppen eingeteilt werden:drei Gruppen eingeteilt werden:

Vortätigkeit des Richters,
Verhalten oder Äußerungen des Richters innerhalb und außerhalb der HV,
persönliche Verhältnisse des Richters.

Wegen weiterer Ablehnungsgründe Burhoff, HV, Rn 88 ff. und ders., EV, Rn 25 ff.; s.a. die Zusammenstellung bei KK-StPO/Heil, § 24 Rn 7 ff.).

 

Rdn 45

Auch im OWi-Verfahren kann der Betroffene aus seinem eigenen Verhalten grds. keinen Ablehnungsgrund herleiten, da er es ansonsten in der Hand hätte, sich nach Belieben jedem Richter zu entziehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 24 Rn 7). Dasselbe gilt für "atmosphärische Störungen" zwischen dem Richter und dem Verteidiger, die erst im Verlauf des Verfahrens entstanden sind (BGH StV 1993, 339). Dies gilt insbesondere in folgenden Fällen:

Gegen den Richter ist vom Ablehnenden Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben oder ein Disziplinarverfahren beantragt oder wegen angeblicher Rechtsbeugung Strafanzeige erstattet worden (vgl. BGH NJW 1952, 1425; 1962, 748; Burhoff, EV, Rn 33 und ders., HV, Rn 95).
Der Richter selbst hat wegen eines beleidigenden oder provozierenden Verhaltens des Betroffenen Strafanzeige erstattet (vgl. OLG München NJW 1971, 384; m.w.N. bei Burhoff, HV, Rn 96).
 

☆ Steht die Reaktion des Richters in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem auslösenden Anlass, kann sich hieraus die Besorgnis der Befangenheit ergeben (BGH StV 1993, 339: Bezeichnung des Verteidigerverhaltens als Unverschämtheit und Drohung mit Einschaltung der Anwaltskammer etc., weil der Verteidiger (im Übrigen prozessual zulässig) einen Zeugen nach dem Inhalt eines Telefongesprächs zwischen dem Richter und dem Zeugen befragt hatte).Reaktion des Richters in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem auslösenden Anlass, kann sich hieraus die Besorgnis der Befangenheit ergeben (BGH StV 1993, 339: Bezeichnung des Verteidigerverhaltens als "Unverschämtheit" und Drohung mit Einschaltung der Anwaltskammer etc., weil der Verteidiger (im Übrigen prozessual zulässig) einen Zeugen nach dem Inhalt eines Telefongesprächs zwischen dem Richter und dem Zeugen befragt hatte).

 

Rdn 46

Die richterliche Vorbefassung wird auch im Ordnungswidrigkeitenrecht ohn...

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