1 Ablehnung eines Richters, Allgemeines [Rdn 1]

 

 

 

Das Wichtigste in Kürze:

1. Der Ausschluss und die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit richten sich nach den §§ 22 ff. StPO i.V.m. § 46 Abs. 1.[1]
2. Der Ablehnungsantrag sollte aus der Sicht des Verteidigers eine vom Mandanteninteresse geleitete Reaktion auf einen prozessual relevanten Sachverhalt sein, keine unüberlegte Reaktion auf jede emotionale Regung des Richters.
3. Bei einem Befangenheitsantrag kommt es entscheidend auf die Sicht "eines vernünftigen Betroffenen" an. Eine Ablehnung findet dann statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
 

Rdn 2

 

Literaturhinweise:

Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969

Burhoff, Die Ablehnung des Richters im Strafverfahren, ZAP F. 22, S. 117

ders., Die Änderungen im Ablehnungsrecht (§§ 25, 26, 29 StPO) durch das "Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019", StRR 6/2020, 6 = VRR 2/2020, 4

Fromm, Die Ablehnung eines Bußgeldrichters wegen Besorgnis der Befangenheit, DAR 2009, 69

ders., "Standardisierte" Vorbereitung der Hauptverhandlung durch den Bußgeldrichter, NJW 2012, 2939 ff.

ders., Textbausteine der Amtsgerichte in Bußgeldverfahren zur Vorbereitung der Hauptverhandlung, SVR 2013, 126

ders., Hauptverhandlung oder "Scheinverhandlung" vor Gerichten in Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen, zfs 2020, 368

Jahn, Konfliktverteidigung und Inquisitionsmaxime, 1998

Kampmann, Verteidigungsrechte im Lichte der StPO-Reform – Von der Effektivierung zur Modernisierung des Strafverfahrens, HRRS 2020, 182

Krekeler, Der befangene Richter, NJW 1981, 1634

ders., Der befangene Richter, AnwBl. 1981, 326

Rabe, Der befangene Richter, AnwBl. 1981, 331

Schork, Das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens Änderung der Kräfteverhältnisse zum Nachteil der Verteidigung, NJW 2020, 1

Sommer, Befangenheit und tätige Reue, NStZ 2014, 615

Thomas, "Konfliktverteidigung", Schmuck, "Eine Absprache hat nicht stattgefunden" und "offensichtliche Verfahrensverschleppung" – Verteidigungsaspekte, SVR 2013, 90

Senge, Missbräuchliche Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten – wesentliche Merkmale der Konfliktverteidigung? Abwehr der Konfliktverteidigung, NStZ 2002, 225

Sommer, Maßnahme des Strafverteidigers in der Hauptverhandlung, ZAP F. 22, S. 101

Tolksdorf, Mitwirkungsverbot für den befangenen Staatsanwalt, Diss. 1989

s. auch die Hinw. bei → Ausschluss eines Richters, Rdn 394.

 

Rdn 3

1. Das OWiG enthält für die Frage des Richterausschlusses und der Richterablehnung keine eigenen Vorschriften. Es finden daher gem. § 46 Abs. 1 die Bestimmungen der §§ 22 ff. StPO Anwendung (BayObLG VRS 42, 46). In den §§ 22, 23 StPO ist geregelt, in welchen Fällen ein Richter[2] kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen ist, und in § 24 StPO, wann er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann. Zweck der genannten Vorschriften ist die Gewährleistung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, das dem Rechtsuchenden auch garantiert, vor einem Richter zu stehen, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (BVerfG NJW 2010, 2421). Lässt ein Richter die gebotene Neutralität vermissen, so kann dieser Anspruch beeinträchtigt sein (BVerfG NJW 1971, 1029).

 

Rdn 4

2. Der Ablehnungsantrag sollte aus der Sicht des Verteidigers eine vom Mandanteninteresse geleitete Reaktion auf einen prozessual relevanten Sachverhalt sein, kein Routineantrag und keine unüberlegte Reaktion auf jede emotionale Regung des Richters, aber auch nicht nur die "äußerste Notbremse" (vgl. Malek, Rn 122). Unsinnige Anträge sollte der Verteidiger dagegen unterlassen, weil sie inkompetent wirken und die Verteidigungsposition schwächen (vgl. auch Burhoff, HV, Rn 12). Gerade wegen des Gebots der unverzüglichen Geltendmachung eines Ablehnungsgesuchs (§ 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO) ist der Verteidiger in dieser Situation besonders gefordert.

 

Rdn 5

3. In jedem Fall muss sich der Verteidiger wegen der Entscheidung, ob ein Befangenheitsantrag gestellt werden soll, mit dem Betroffenen beraten.

 

☆ Insbesondere sollte die Entscheidung für oder gegen einen Ablehnungsantrag nicht unüberlegt und übereilt getroffen werden, zumal im Fall einer übereilten Entscheidung das Gericht sich veranlasst sehen könnte, das Ablehnungsgesuch allein deshalb als unzulässig zu verwerfen, da es ohne Rücksprache mit dem Angeklagten angebracht worden ist (s. hierzu BGH StraFo 2009, 145).nicht unüberlegt und übereilt getroffen werden, zumal im Fall einer übereilten Entscheidung das Gericht sich veranlasst sehen könnte, das Ablehnungsgesuch allein deshalb als unzulässig zu verwerfen, da es ohne Rücksprache mit dem Angeklagten angebracht worden ist (s. hierzu BGH StraFo 2009, 145).

 

Rdn 6

Bei der Beratung sollte der Verteidiger Folgendes beachten:

Es kommt nicht darauf an, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen ist oder nicht ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?