Zusammenfassung
Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, zum Beispiel wenn das Vertrauensverhältnis zu seinen Kollegen im Vorstand und zum Aufsichtsrat tiefgreifend gestört ist. Die Schwelle dafür ist hoch. Es genügt nicht, dass das Vorstandsmitglied mit dem Aufsichtsrat und der Gesellschaft nur noch über seinen Anwalt korrespondiert oder gegen einen Aufsichtsratsbeschluss gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt.
Hintergrund
Im Zuge der Aufklärung von Vorwürfen irregulären Verhaltens gegen drei zunächst abberufene und anschließend erneut bestellte Vorstände kam es zu Verwerfungen zwischen dem Aufsichtsrat und einem der nicht abberufenen Vorstände. Der Aufsichtsrat forderte ihn unter Androhung seiner Abberufung auf, verbindlich zu erklären, ob er ein Ausstiegsszenario verfolge oder weiterhin bereit sei, sich in der Firma zu engagieren und "sich zu committen". Der Vorstand beantragte gegen seine Abberufung eine einstweilige Verfügung, die in zweiter Instanz zurückgewiesen wurde.
Schließlich berief der Aufsichtsrat das Vorstandsmitglied aus wichtigem Grund ab. Zur Begründung führte der Aufsichtsrat (neben dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung) an, dass das Vertrauensverhältnis des Abberufenen zum Aufsichtsratsvorsitzenden und den Vorstandskollegen völlig zerrüttet sei. Dieses zeige sich schon darin, dass das Vorstandsmitglied Korrespondenz mit dem Aufsichtsrat und der Gesellschaft nur noch über Rechtsanwälte führe. Hiergegen wendete sich das Vorstandsmitglied mit seiner Klage.
OLG München, Urteil v. 28.4.2016, 23 U 2314/15
Das OLG hat der Klage des Vorstandsmitglieds stattgegeben und den Abberufungsbeschluss des Aufsichtsrates aufgehoben. Ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis zwischen den Vorstandsmitgliedern könne zwar ein wichtiger Grund für die Abberufung sein. Voraussetzung sei aber, dass die Zerrüttung die Gesellschaft schwer schädigen könne und der Kläger durch sein – nicht notwendigerweise schuldhaftes – Verhalten zu dem Zerwürfnis beigetragen habe. Dies sah das Gericht vorliegend aber als nicht erwiesen an. Denn es sei das gute Recht des Vorstandsmitglieds gewesen, Rechtsschutz gegen die angedrohte Abberufung zu suchen. Auch treffe einen Vorstand als solchen weder die Verpflichtung, Erklärungen wie das geforderte "Commitment" abzugeben, noch sei er verpflichtet direkt, also ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts, mit dem Aufsichtsrat zu kommunizieren.
Anmerkung
Anders als der Geschäftsführer einer GmbH kann der Vorstand einer Aktiengesellschaft gegen seinen Willen vorzeitig nur aus wichtigem Grund abberufen werden. Ist dies geplant, muss (notfalls gerichtsfest) belegbar sein, dass die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum Ende der Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist. Bei der Entscheidung darüber findet eine Gesamtabwägung statt, in der alle Umstände des Einzelfalles gegeneinander abzuwägen sind. Wie hoch die Latte tatsächlich liegt, zeigt dieses Urteil. Denn zwar ist klar, dass nicht jede Unstimmigkeit und jede Kritik des Vorstands zur Abberufung berechtigt. Aber nach dem vom Gericht mitgeteilten Sachverhalt wird man eher bezweifeln müssen, dass der Aufsichtsrat und der Abberufene nochmals zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit finden. Das genügt aber nicht. Das OLG München stellt klar, dass bloße Differenzen ohne Pflichtverstoß des Vorstands nicht ausreichen, um ein Vorstandsmitglied vorzeitig abzuberufen. Im Streitfall ist daher zu raten, vor der Abberufung eines Vorstands die rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen, bevor ein – möglicherweise unwirksamer – Beschluss gefasst wird.