1 Leitsatz
Ein Beschluss gem. § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG, wonach für einen Beschluss außerhalb der Versammlung die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügen soll, setzt voraus, dass im Wortlaut des Beschlusses das Mehrheitserfordernis hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt.
2 Normenkette
§ 23 Abs. 3 Satz 2 WEG
3 Das Problem
Wohnungseigentümerin K bringt über ihrem Balkon eine Überdachung und auf der rechten Seite einen Windschutz an. Die Wohnungseigentümer diskutieren, ob die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer dagegen vorgehen soll. Der Gegenstand "Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch gegen K" steht allerdings nicht auf der Tagesordnung. Um nicht erneut eine Versammlung nur mit diesem einen Punkt einberufen zu müssen, schlägt der Verwalter vor, einen Beschluss außerhalb der Versammlung zu fassen. Die Wohnungseigentümer beschließen daraufhin, dass der Gegenstand "per Umlaufbeschluss gem. § 23 (3) WEG" zur Abstimmung gestellt werden soll. Die Wohnungseigentümer beschließen daraufhin außerhalb der Versammlung mehrheitlich wörtlich wie folgt:
"Die ... verlangt von ... Eigentümerin der Wohnung Nr. ... im ... 1. OG links die Beseitigung der im April bis Mai 2021 mutmaßlich widerrechtlich angebrachten Balkonüberdachung und Balkonseitenteile und ermächtigt den Verwalter H. G., die Beseitigung unter Einlegung von Rechtsmittel durchzusetzen, sofern nicht nach angemessener Frist (14 Tage nach Beschlussverkündung) eine Erklärung zur freiwilligen Beseitigung erfolgt".
Gegen diesen Beschluss geht K vor. Sie meint, er sei für ungültig zu erklären, weil nicht alle Wohnungseigentümer mit "ja" gestimmt hätten. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer meint, der Beschluss sei nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG gefasst worden.
4 Die Entscheidung
Die Klage hat Erfolg! Der Beschluss sei nichtig! Wollten die Wohnungseigentümer im Gegensatz gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügen solle, müsse dies in dem entsprechenden Beschluss hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Das sei nicht der Fall. Der Beschluss enthalte keinen Hinweis darauf, dass für den Beschluss das Mehrheitsprinzip gelten sollte. Aus dem Verlauf der Versammlung sei auch nicht für jedermann zweifelsfrei und ohne Weiteres erkennbar gewesen, dass ein Absenkungsbeschluss gefasst worden sei.
5 Hinweis
Problemüberblick
Die Wohnungseigentümer können einen Beschluss fassen, dass einem Beschluss außerhalb der Versammlung nur die Mehrheit der Wohnungseigentümer zustimmen muss (Absenkungsbeschluss). In der Entscheidung geht es darum, wie dieser Beschluss formuliert werden muss.
Möglichkeiten der Beschlussfassung
Angelegenheiten, über welche die Wohnungseigentümer nach dem WEG oder nach einer Vereinbarung durch Beschluss entscheiden können, werden gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 WEG durch eine Beschlussfassung in einer Versammlung der Wohnungseigentümer geordnet (Versammlungsbeschluss). Daneben besteht die Möglichkeit, nach § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG einen Beschluss zu fassen (Beschluss außerhalb der Versammlung).
Einem Beschluss außerhalb der Versammlung müssen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG grundsätzlich alle Wohnungseigentümer zustimmen.
Die Wohnungseigentümer können nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG aber auch beschließen, dass bei einem Beschluss außerhalb der Versammlung für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt (Absenkungsbeschluss). Dieser Absenkungsbeschluss ist in einer Versammlung oder – theoretisch – außerhalb der Versammlung zu fassen. Er bedarf nach § 25 Abs. 1 WEG der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn er in einer Versammlung gefasst wird. Wird er außerhalb der Versammlung gefasst, müssen hingegen alle Wohnungseigentümer zustimmen (§ 23 Abs. 1 Satz 1 WEG). Ein Absenkungsbeschluss muss nach h. M. bei der Einberufung nicht gem. § 23 Abs. 2 WEG bereits "bezeichnet" (= angekündigt) werden (a. A. AG Bonn, Urteil v. 8.12.2021, 211 C 22/21, ZMR 2022 S. 245). Notwendig, aber ausreichend ist also, dass der Gegenstand, auf den der Beschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG abzielt, bereits auf der Tagesordnung stand, und dass über ihn in der Versammlung eigentlich beschlossen werden sollte.
Anforderungen an Absenkungsbeschluss
Ein Absenkungsbeschluss muss einen "einzelnen Gegenstand" betreffen. Es besteht mithin keine Möglichkeit, nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG allgemein zu bestimmen, dass sämtliche Gegenstände künftig nur noch außerhalb der Versammlung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. Ein Absenkungsbeschluss muss – wie jeder Beschluss – "bestimmt" sein. Ferner muss ein Absenkungsbeschluss erkennen lassen, dass für den einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt. Hieran fehlt es im Fall.
Muster: Absenkungsbeschluss
- Über die Frage, ob ___ [Gegenstand genau benennen], soll nach § 23 Absatz 3 Satz 2 WEG außerhalb der Versammlung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen abgestimmt werden. Eine Beschlussfassung zum jetzigen Zeitpunkt ist untunlich, da ___ [nur aus Gründen der Transparenz].
- Der Verwalter wird angewiesen, ...