1 Leitsatz
Ein Beschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG muss mit der Tagesordnung angekündigt werden.
2 Normenkette
§§ 18, 23 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 WEG
3 Das Problem
Die Verwaltung beraumt eine "Präsenzversammlung mit freiwilliger Online-Teilnahme – Hybrid" an. Unter TOP 6 weist sie unter der Überschrift "Reparaturen/Instandsetzungen/Anschaffungen" darauf hin, das neue WEG habe den "Umlaufbeschluss vereinfacht". Die Wohnungseigentümer könnten "nunmehr beschließen, dass über einen bestimmten Gegenstand ein Umlaufbeschluss gefasst" werde. Eine Bezeichnung oder Information, zu welcher konkreten baulichen Maßnahme oder zu welchem Themenkomplex ein Umlaufbeschluss erfolgen soll, wird in der Einladung allerdings nicht erwähnt (es ist nur ein Lückentext allgemeiner Art abgedruckt).
Auf der Versammlung fassen die Wohnungseigentümer ausweislich der Niederschrift zu TOP 6 folgenden Beschluss: "Die Wohnungseigentümer beschließen, die Installation eines Inliners im Schornstein nach Einholung von 2 Angeboten nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG ohne Eigentümerversammlung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen im schriftlichen Umlaufverfahren durchzuführen. ..."
Gegen diesen Beschluss geht Wohnungseigentümer K vor. Er behauptet, der Beschluss-Vorschlag sei in der protokollierten Form überhaupt nicht zur Abstimmung gestellt worden. Er habe an der Versammlung "per Zoom" teilgenommen. Die technische Qualität habe erhebliche Mängel gehabt. Erst nach Wiedereinwahl aller Teilnehmer, nach ca. 10 Minuten, sei der Verwalter verständlich gewesen. Während der Versammlung sei kein Dokument (Agenda oder Beschlusstext oder Beschlussergebnis) geteilt worden. Für die Online-Teilnehmer sei nicht ersichtlich gewesen, wann überhaupt abgestimmt worden und was als Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung gewertet worden sei. Zudem sei der Beschluss nicht ordnungsmäßig angekündigt worden. Die Tagesordnung habe keinen Hinweis auf eine Baumaßnahme enthalten.
4 Die Entscheidung
Die Anfechtungsklage hat Erfolg! Das AG ist der Ansicht, der Beschluss widerspreche einer ordnungsmäßigen Verwaltung. Die Verwaltung habe den Beschlussgegenstand bei der Einberufung nicht bezeichnet. Eine Bezeichnung oder Information, zu welcher konkreten baulichen Maßnahme oder zu welchem Themenkomplex ein Umlaufbeschluss erfolgen solle, sei in der Einladung nicht erwähnt worden. Die Bezeichnung des TOP 6 in der Einladung sei damit nicht geeignet gewesen, dem Informationsinteresse der Wohnungseigentümer zu genügen. Die Tagesordnung habe keinen Hinweis auf eine Baumaßnahme enthalten. Die Beschlussfassung über die Durchführung eines Umlaufverfahrens müsse jedoch auch den Erfordernissen über eine ordnungsmäßige Beschlussfassung gerecht werden. Dazu gehöre insbesondere eine ordnungsmäßige Ankündigung einer derartigen Beschlussfassung gem. § 23 Abs. 2 WEG. Die Wohnungseigentümer seien im Fall vollkommen uninformiert und unvorbereitet zu der Beschlussfassung über die Durchführung eines Umlaufverfahrens hinsichtlich des Einbaus eines Inliners gebracht worden.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um einen sog. Absenkungsbeschluss. Die Wohnungseigentümer wollten sich damit die Möglichkeit schaffen, mit einem Beschluss außerhalb der Versammlung eine bauliche Veränderung zu gestatten. Noch gibt es diesen zweiten Beschluss nicht – was das AG ggf. nicht erkennt –, jedenfalls nicht problematisiert.
Absenkungsbeschlüsse
Die Wohnungseigentümer können seit dem 1.12.2020 gem. § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG beschließen, dass bei einem Beschluss außerhalb der Versammlung für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt.
Es handelt sich bei diesem Beschluss um keinen Geschäftsordnungsbeschluss, sondern um eine einmalige Öffnungsklausel in Bezug auf die erforderliche Stimmenmehrheit ("Absenkungsbeschluss"). Ohne einen solchen Beschluss, bleibt es bei den Anforderungen des § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG. Der Beschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG ist in einer Versammlung oder – theoretisch – außerhalb der Versammlung zu fassen. Er bedarf nach § 25 Abs. 1 WEG der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn er in einer Versammlung gefasst wird (wird er außerhalb der Versammlung gefasst, müssen hingegen alle Wohnungseigentümer zustimmen, § 23 Abs. 1 Satz 1 WEG).
Ein Absenkungsbeschluss muss nach h. M., die das AG nicht sieht oder sehen will, bei der Einberufung nicht gem. § 23 Abs. 2 WEG bereits "bezeichnet" (= angekündigt) werden (siehe nur Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, 1. Aufl. 2021, Kap. 8 Rn. 33; BeckOK WEG/Bartholome, 46. Ed. 1.10.2021, WEG § 23 Rn. 102). Notwendig, aber ausreichend ist also, dass der Gegenstand, auf den der Beschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG abzielt, bereits auf der Tagesordnung stand, und dass über ihn in der Versammlung eigentlich beschlossen werden sollte (Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 23 Rn. 106). Diese Sichtweise ist allerdings noch streitig. Denn Schultzky in Jennißen, WEG, 7. Aufl. 2021, § 23 Rn. 150 meint, auch der Beschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG müsse nach § 23 Abs. 2 WEG angekündigt werden. Hierbei dürfte es sich um...