Dipl.-Finanzwirt Arthur Röck
Leitsatz
Es ist einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, das Recht auf Abzug der Einfuhrumsatzsteuer von der tatsächlichen vorherigen Zahlung dieser Steuer durch den Steuerschuldner abhängig zu machen, wenn der Steuerschuldner auch der zum Abzug Berechtigte ist.
Sachverhalt
Die Steuerpflichtige führte Fahrräder aus Drittstaaten in die EU (hier Frankreich) ein. Da die französische Zollverwaltung die Herkunftsangabe der Fahrräder für nicht zutreffend hielt, erlegte sie der Steuerpflichtigen nachträglich zusätzlichen Zoll sowie darauf entfallende Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) für die Einfuhr auf. Die Steuerpflichtige zahlte diese EUSt nicht. Aufgrund einer Insolvenz war die EUSt-Forderung des Zolls – mangels rechzeitiger Anmeldung – nicht mehr durchsetzbar. Unabhängig davon beantragte die Steuerpflichtige beim Finanzamt die Erstattung der EUSt als Vorsteuer. Dies lehnte das französische Finanzamt ab, da in Frankreich der Vorsteuerabzug für die EUSt deren Bezahlung voraussetzt, wenn der Steuerschuldner und der Vorsteuerabzugsberechtigte ein und dieselbe Person sind.
Europarechtlich besteht nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. b RL 77/388/EWG bzw. Art. 168 MwStSyStRL ein Recht auf Vorsteuerabzug u.a. für die Mehrwertsteuer, die für eingeführte Gegenstände im Inland "geschuldet wird oder entrichtet worden ist". Nach Auffassung des EuGH ist hier nach dem Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der 6. Richtlinie vorzugehen. Der Begriff "geschuldet" bezieht sich auf eine rechtlich durchsetzbare Steuerschuld und setzt somit voraus, dass der Steuerpflichtige zur Zahlung des Mehrwertsteuerbetrags, den er als Vorsteuer abziehen möchte, verpflichtet ist.
Hätte der Unionsgesetzgeber das Recht auf Abzug der EUSt von deren tatsächlichen vorherigen Bezahlung durch den Steuerschuldner abhängig machen wollen, hätte er dies explizit durch Weglassen des Begriff "geschuldet" in Art. 17 den tun können. Auch entsteht nach Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 3 der 6. Richtlinie das Vorsteuerrecht unabhängig davon davon, ob die für den eingeführten Gegenstand geschuldete Gegenleistung gezahlt wurde. Deshalb kann der Vorsteuerabzug der EUSt grundsätzlich nicht davon abhängig gemacht werden, dass die EUSt zuvor tatsächlich gezahlt worden ist.
Hinweis
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG ist die tatsächliche Entrichtung der EUSt auch zwingende Voraussetzung für den "deutschen" Vorsteuerabzug. Das EuGH-Urteil hat deshalb auch Auswirkungen auf deutsche Umsatzsteuerrecht.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil v. 29.3.2012, Rs. C-414/10; Société Veleclair.