Leitsatz (amtlich)
Zur Anwendung der Ausnahmeregelung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO nach Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses.
Tenor
Der Kostenbescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 09.02.2012 in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 989.339056.9 wird aufgehoben.
Die im Bußgeldverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
Die Kosten des Verfahrens der gerichtlichen Entscheidung einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragsstellers trägt ebenfalls die Staatskasse.
Gründe
I.
Das Regierungspräsidium Kassel setzte mit Bußgeldbescheid vom 17.07.2011 wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit vom 05.04.2011 gegen den Betroffenen ein Bußgeld von 240,00 EUR fest. Nach Zustellung des Bußgeldbescheids am 20.07.2011 legte der Betroffene durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 22.07.2011, der am 25.07.2011 bei dem Regierungspräsidium einging, Einspruch ein.
Am 25.01.2012 stellte das Regierungspräsidium das Bußgeldverfahren ein und nahm den Bußgeldbescheid zurück. Der Verteidiger reichte hierauf seine Kostenrechnung vom 31.01.2011 ein und beantragte, die Kosten gegen die Staatskasse festzusetzen. Diesen Antrag wies das Regierungspräsidium mit selbständigem Kostenbescheid vom 09.02.2012 unter Verweis auf § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 467a Abs. 1 S. 2, 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO mit der Begründung zurück, das Verfahren sei eingestellt worden, da nach dem Erlass des Bußgeldbescheides Verfolgungsverjährung eingetreten sei, jedoch habe aufgrund der Beweismittel festgestanden, dass der Betroffene die ihm vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen habe.
Hiergegen hat der Betroffene mit einem am 17.02.2012 bei dem Regierungspräsidium eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.02.2012 die gerichtliche Entscheidung beantragt.
II.
Der nach § 108 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 62 OWiG statthafte und fristgerecht eingelegte Antrag ist zulässig und begründet.
Die im Bußgeldverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen waren der Staatskasse aufzuerlegen. Es liegt kein Fall des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO vor, der es rechtfertigen würde, bei der erfolgten Verfahrenseinstellung nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a StPO davon abzusehen, die notwendigen Auslagen des Betroffe-nen der Staatskasse aufzuerlegen. Gemäß § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. 467 Abs. 1 StPO fallen die notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich der Staatskasse zur Last, wenn das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Von diesem Grundsatz normiert § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO eine Ausnahme, nach der im Rahmen einer Ermessensentscheidung davon abgesehen werden kann, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerle-gen, wenn der Betroffene nur deswegen nicht verurteilt bzw. nur deswegen kein Bußgeld gegen ihn festgesetzt werden kann, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Bei der Anwendung dieser Ausnahmevorschrift ist stets eine Verdachtsprüfung erforderlich. Zwar ist hierbei eine nur nach geständiger Einlassung oder sonst vollständig durchgeführter Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu erwartende sichere Annahme, dass der Betroffene bei hinweg gedachtem Verfahrenshindernis wegen Schuldspruch reife zu verurteilen gewesen wäre, nicht zu fordern. Notwendig ist jedoch das Fortbestehen eines erheblichen Tatverdachts, solange klargestellt ist, dass die Auslagenentscheidung nicht auf einer Schuldfeststellung beruht, sondern nur auf der Beschreibung und Bewertung der Verdachtslage (BGH NJW 2000, 1427; OLG Frankfurt NStZ- RR 2002, 246).
Ein derartiger erheblicher Tatverdacht, der es rechtfertigen würde, dem Betroffenen die Erstattung seiner notwendigen Auslagen zu versagen, kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden. Der Betroffene hat sich im Bußgeldverfahren nicht zur Sache eingelassen. Um die Begehung der Ordnungswidrigkeit durch den Betroffenen feststellen zu können, hätte dieser daher zunächst als Fahrer identifiziert werden müssen. Hierzu hätte das Gericht in einer Hauptverhandlung Feststellungen durch einen Ab- gleich zwischen dem Beweisfoto und der Person des Betroffenen treffen müssen. Al-lein der Umstand, dass es sich bei dem Betroffenen um den Halter des Fahrzeugs handelt, dessen Geschwindigkeit gemessen wurde, begründet einen erheblichen, eine Verurteilung wahrscheinlich machenden Tatverdacht noch nicht.
Hinzu kommt, dass das Regierungspräsidium in seinem Kostenbescheid gerade keine Verdachtslage beschrieben und bewertet, sondern in unzulässiger Weise eine Schuldfeststellung vorgenommen hat, indem das Absehen von der Auslagenerstattung mit der Überlegung begründet wurde, aufgrund der Beweismittel habe festgestanden, dass der Betroffene die ihm vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen habe. Hierin liegt eine unzulässige, die Unschuldsvermutung verletzende Schuldzuschreibung. Schließlich wäre es auch deswegen unbillig, die notwendigen Auslagen des Betroffenen nicht der Staatskasse aufzuerlegen, weil die Verfolgungsverjährung dadurch eingetreten ist, ...