Entscheidungsstichwort (Thema)

Zugehörigkeit eines Einkommensteuer-Erstattungsanspruchs zur Insolvenzmasse. Verwaltungsbefugnis und Verfügungsbefugnis des Treuhänders. Zuständigkeit des Insolvenzgerichts

 

Verfahrensgang

BGH (Entscheidung vom 25.10.1984; Aktenzeichen IX ZR 110/83)

 

Tatbestand

I.

Der Schuldner ist Zugbegleiter bei der Deutschen Bahn AG. Durch Eröffnungsbeschluss v. 5.7.1999 ist über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsbeistand S. aus Duisburg zum Treuhänder (§ 313 InsO) bestellt worden. Das FA D. hat durch Aufteilungsbescheid v. 28.3.2000 einen Einkommensteuer-Erstattungsanspruch des Schuldners und seiner Ehefrau aufgeteilt und den auf den Schuldner entfallenden Betrag i.H.v. 1.080,06 DM an den Treuhänder ausgezahlt.

Gegen diese Auszahlung wendet sich der Schuldner. Er hat zunächst vom Treuhänder erfolglos die Freigabe des Erstattungsbetrages verlangt und anschließend mit Eingabe v. 20.4.2000 beim Insolvenzgericht „Einspruch” gegen die Auszahlung an den Treuhänder eingelegt. Er behauptet, der Erstattungsbetrag ergebe sich ausschließlich aus der Kilometerpauschale für die Kosten seiner Anreise zur Arbeitsstelle. Auf das Geld sei er zur Instandhaltung seines Pkw dringend angewiesen. Er benötige den Wagen, um von seinem Wohnort Dinslaken auch zu ungewohnten Tageszeiten seinen Arbeitsplatz in Düsseldorf zu erreichen. Der Treuhänder lehnt die Freigabe des Geldes ab, weil es nach seiner Ansicht zur Insolvenzmasse gehört.

Wegen der grds. Bedeutung der auftretenden Rechtsfragen hat der Richter die Entscheidung über die Eingabe an sich gezogen (§ 18 Abs. 2 Satz 3 InsO).

 

Entscheidungsgründe

II.

1.

Die Eingabe des Schuldners ist als Antrag an das Insolvenzgericht auszulegen, den Treuhänder zur Freigabe des Erstattungsbetrages aus der Insolvenzmasse zugunsten des Schuldners zu verpflichten. Schuldner und Treuhänder streiten darum, ob der Steuererstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehört (§ 35 InsO) und damit der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Treuhänders unterliegt oder ob der Anspruch dem insolvenzfreien Vermögen des Schuldners zuzuordnen ist (§ 36 Abs. 1 InsO), über das der Schuldner weiterhin verfügungsberechtigt ist.

2.

Eine verbindliche Entscheidung in diesem Streit kann das Insolvenzgericht nicht treffen. Es ist hierfür gesetzlich nicht zuständig. Will der Schuldner den Streit gerichtlich entscheiden lassen, so muß er beim zuständigen Prozessgericht, d.h. angesichts des Streitwertes bei der Zivilprozessabteilung des AG Duisburg, gegen den Treuhänder Klage auf Auszahlung des Erstattungsbetrages erheben.

a)

Ein Konflikt zwischen Schuldner und Insolvenzverwalter (im vereinfachten Verfahren: Treuhänder nach § 313 InsO) über die Zugehörigkeit eines Vermögensgegenstandes zur Insolvenzmasse ist eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit i.S.d. § 13 GVG. Der Streit wäre nur dann vom Insolvenzgericht zu entscheiden, wenn diesem Gericht durch eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung die Zuständigkeit hierfür zugewiesen wäre (Art. 101 Abs. 2 GG, § 13 GVG).

Dies ist nicht der Fall. Bereits nach dem früheren Konkursrecht war anerkannt, dass ein Rechtsstreit zwischen Gemeinschuldner und Konkursverwalter über die Zugehörigkeit eines Vermögensgegenstandes zur Konkursmasse nicht vor dem Konkursgericht, sondern vor dem Prozessgericht auszutragen war (BGH, NJW 1962, 1392; BGHZ 92, 339 [BGH 25.10.1984 – IX ZR 110/83] = ZIP 1984, 1501 f.; Jäger/Henckel, KO, 9. Aufl. 1977, § 1 Rn. 148; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 1 Rn. 109; Kilger/K. Schmidt, InsG, 17. Aufl. 1997, § 1 KO Anm. 4 C).

Dies galt nicht nur für Meinungsverschiedenheiten über den (nach altem Recht anders als nach neuem Recht erheblichen) Zeitpunkt des Erwerbs durch den Schuldner, sondern auch für die rechtliche Beurteilung der Pfändbarkeit des Vermögensgegenstandes als Kriterium für seine Zugehörigkeit zur Masse (§ 1 Abs. 4 KO). An dieser prozessualen Rechtslage hat die InsO nichts geändert (Hess, InsO, §§ 35, 36 Rn. 67-71; Nerlich/Römermann/Andres, InsO, § 35 Rn. 94). Sie enthält weder in den Vorschriften über den rechtlichen Umfang der Insolvenzmasse (§§ 35, 36 InsO) noch an anderer Stelle eine Bestimmung über die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts bei Meinungsverschiedenheiten über die Massezugehörigkeit eines Gegenstandes.

b)

Eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts ergibt sich auch nicht aus der größeren Sachnähe oder aus dem Sachzusammenhang mit dem Eröffnungsbeschluss. Solche Gesichtspunkte, die in jüngster Zeit in vergleichbaren Zusammenhängen bisweilen herangezogen oder zur Diskussion gestellt worden sind (vgl. LG Dortmund, NZI 2000, 182, 183; Mäusezahl, ZInsO 2000, 193, 194 f.; ferner Winter, Rpfleger 2000, 149 ff.), mögen für die Gesetzgebung erwägenswert sein, nach geltendem Recht sind sie jedoch angesichts der Regelung des Art. 101 Abs. 2 GG unerheblich (vgl. OLG Köln, Rpfleger 1998, 354 f.). Das Gleiche gilt für eine Analogie zur verfahrensrechtlichen Stellung des Vollstreckungsgerichts im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung....

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