Leitsatz (amtlich)
Im Fall einer ausschließlich in Deutschland tätigen englischen „Limited” bleiben deutsche Insolvenzgerichte auch dann für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens i.S.v. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO international zuständig, wenn die werbende Tätigkeit vor Insolvenzantragstellung vollständig eingestellt wird.
Tatbestand
I. Die Schuldnerin ist eine am 2.8.2004 in der Rechtsform einer englischen „private company limited by shares” „Limited”) in England und Wales gegründete Gesellschaft. Sie ist im Companies House Cardiff unter Nr. … eingetragen. Das „registered office” befindet sich in … Großbritannien. Tatsächlich geführt wurde die Schuldnerin nicht von dort, sondern seit ihrer Gründung ausschließlich von Hamburg aus. In Hamburg betrieb die Schuldnerin bis zum 30.9.2005 in jeweils gemieteten Räumen eine Kantine mit 177 Plätzen und ein Bistro. Am 6.10.2005 stellte der director, der zugleich Alleingesellschafter der Schuldnerin ist, Insolvenzantrag beim Amtsgericht Hamburg.
Die Eintragung einer Zweigniederlassung im Handelsregister beim Amtsgericht Hamburg scheiterte.
Entscheidungsgründe
II. Der Insolvenzantrag ist zulässig und begründet.
1. Die deutschen Gerichte sind gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO international, das Insolvenzgericht Hamburg ist gemäß Art. 102 § 1 Abs. 1 EGInsO örtlich zuständig.
Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Schuldnerin ist in Deutschland belegen.
Der entscheidungserhebliche Zeitpunkt, zu dem die Frage nach der Belegenheit des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen zu beantworten ist, ist derjenige der Insolvenzantragstellung
(Schlußanträge des Generalanwalts beim EuGH Colomer, ZIP 2005, 1641, 1645; AG Celle, ZInsO 2005, 895, 896; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzverordnung, Wien 2002, Art. 3, Rn. 46; Haß/Herweg, in: Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EU-Insolvenzverordnung, München 2005, Art. 3, Rn. 16; Herchen, ZInsO 2004, 825, 829 f.; vgl. zu dem Argument der Verhinderung von „forum shopping” Erwägungsgrund 4 EuInsVO).
Daß die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung ihre Geschäftstätigkeit bereits vollständig – und nicht nur zugunsten einer abwickelnden Tätigkeit – eingestellt hat, ist nicht entscheidend. Dies verschiebt den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nicht an den satzungsmäßigen Sitz.
Die (ausschließlich) vor Insolvenzantragstellung entfaltete werbende Geschäftstätigkeit der Schuldnerin fand von der Gesellschaftsgründung bis zu Einstellung des Geschäftsbetriebes ausschließlich in Hamburg statt. Während der Zeit dieser Geschäftstätigkeit lag der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen in Hamburg. Wird – wie hier – die werbende Geschäftstätigkeit vollständig und nicht zugunsten abwickelnder Tätigkeit eingestellt, so bleibt nach Auffassung des Gerichts der vor Einstellung begründete Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen bestehen. Diese Frage ist bisher weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur ausdrücklich entschieden bzw. diskutiert worden.
Das AG Hamburg (NZI 2003, 442 ff.) hat in einem vergleichbaren Fall einer Limited mit vor Insolvenzantragstellung eingestellten Geschäftsbetrieb – ohne auf die hier aufgeworfene Frage einzugehen – die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte angenommen.
Die Rechtsfrage, welche Folgen die Verlegung von Wohnsitz oder Ort der werbenden Tätigkeit zwischen Antragstellung und Insolvenzeröffnung auf die internationale Zuständigkeit hat (dazu z.B. BGH, NZI 2004, 139 – Vorlage zum EuGH; Schlußanträge des Generalanwalts beim EuGH Colomer, ZIP 2005, 1641, 1645; AG Celle, ZInsO, 2005 895 f.), ist der hier aufgeworfenen Frage nicht vergleichbar, da jene nach dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt, diese aber nach der Auslegung des Rechtsbegriffs des „Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen” fragt.
Soweit für nicht grenzüberschreitende Insolvenzfälle überwiegend angenommen wird, daß nach Einstellung der werbenden Tätigkeit – wenn nicht noch Abwicklungstätigkeiten entfaltet werden (dazu z.B. Ganter, in: Münchener Kommentar zur InsO, München 2001, § 3, Rn. 8) – die örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts am Registersitz gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO und nicht am Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO begründet ist, sind diese Überlegungen nicht übertragbar. Da es aufgrund der ausdrücklichen Regelung der internationalen Zuständigkeit in Art. 3 EuInsVO nicht auf die grundsätzlich anerkannte Ableitung der internationalen aus der – insoweit doppelfunktionalen – örtlichen Zuständigkeit ankommt, kann zumindest mit diesem Argument eine gleichlautende Auslegung von § 3 Abs. 1 InsO und Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO gerechtfertigt werden. Art. 3 EuInsVO als Norm supranationalen Rechts erfordert gerade eine autonome Auslegung durch nationale Gerichte im Lichte der Verordnung.
Im Rahmen der gebotenen autonomen Auslegung ist der – systematische – Vergleich der in der Insolvenzordnung gewählt...