Leitsatz (amtlich)

I. Wird eine Liquidation maßgeblich von dem im Ausland wohnenden Liquidator durchgeführt, ohne daß sich Anhaltspunkte für eine Zuständigkeitserschleichung ergeben, und befinden sich im Inland keine nennenswerten Werte der Schuldnerin, ist das Insolvenzgericht am Standort des Liquidators für ein entsprechendes Insolvenzverfahren der Schuldnerin zuständig.

II. Im Bereich der Geltung der EuInsVO ist eine „internationale Verweisung” möglich.

 

Tenor

Das Verfahren wird an das Tribunal de Commerce du Havre in F-76690 Le Havre, Frankreich, verwiesen.

 

Tatbestand

I.

Mit Schreiben v. 28.2.2006, beim hiesigen Gericht am 8.3.2006 eingegangen, stellte der in Frankreich wohnende Liquidator der Schuldnerin Insolvenzantrag für die Schuldnerin beim hiesigen Insolvenzgericht. Nach Vorkorrespondenz mit dem Liquidator zur Frage der hiesigen Zuständigkeit setzte das Gericht unter dem 11.4.2006 einen Sachverständigen ein, zunächst zur Ermittlung aller die Prüfung des Mittelpunktes der wirtschaftlichen Interessen der Schuldnerin zum Zeitpunkt der Antragstellung betreffenden Umstände. Der Sachverständige RA Dr. U… ermittelte folgende Umstände:

Die Schuldnerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 20.11.2001 gegründet, die Eintragung im Handelsregister des Amtsgerichts Hamburg erfolgte unter HRB 82806 am 20.02.2002. Die Schuldnerin ist mit einem Stammkapital von EUR 25.000,00 ausgestattet, von dem zunächst Herr M… F… einen Anteil von EUR 12.750,00 und Frau S…-O… (Ehefrau des Liquidators) von EUR 12.250,00 hielten.

Mit notarieller Urkunde vom 20.03.2003 (UR-Nr. 351/2003 S des Notars Dr. Sch… aus Hamburg) übertrug Herr F… einen Anteil in Höhe von EUR 6.500,00 an Frau S…-O… und einen weiteren Anteil in Höhe von EUR 6.250,00 an Herrn B…, so dass sich – Stand heute – folgende Kapitalanteile ergeben:

Frau S…-O…: EUR 18.750,00 (75 %)

Herr C… B…: EUR 6.250,00 (25 %)

Die Hauptgesellschafterin und ihr Ehemann, der jetzige Liquidator, verzogen bereits im Jahr 2000 nach Frankreich, wo man eine „Parallelgesellschaft” M… + S… A… R… L… (Le Havre) betreibt. Ursprünglich sollten durch die Ingangsetzung des Hamburger Geschäfts über die Schuldnerin neue Synergien erschlossen werden. Diese Hoffnung erfüllte sich indes nicht in dem gewünschten Maße, weshalb man sich zur Liquidation der Gesellschaft entschied. Nach Auskunft des Liquidators wurde der Hamburger Betrieb bereits im März 2004 endgültig geschlossen, in den Monaten Januar bis März 2004 seien kaum noch nennenswerte Umsätze erzielt worden. Die Liquidation wurde am 06.04.2005 in das Handelsregister eingetragen.

Im Rahmen der Liquidation seien dann noch Ansprüche mit einem Volumen von etwa EUR 15.000,00 realisiert worden. Außerdem wurde das vorhandene Inventar veräußert. Die bestehenden Verbindlichkeiten konnten nach den Liquidationsvorschriften des GmbH-Gesetzes nahezu vollständig bedient werden. Die Abwicklung betrieb der Liquidator von seinem Wohnort in Frankreich aus. Bei der D…-Bank unterhält die Schuldnerin noch ein Konto mit einem angegebenen Kontostand in Höhe von EUR 451,17.

Nach Einschätzung des Liquidators hätte die Liquidation nach den Regeln des GmbHG problemlos beendet werden können, hätte sich nicht der vorherige Geschäftsführer und Mitgesellschafter quer gestellt und auf Rückzahlung seiner Ansprüche (u.a. des Stammkapitals) bestanden. Es sind gegen die Schuldnerin deswegen Gerichtsverfahren beim LG Hamburg und beim LAG Hamburg anhängig. Diese Konfliktlage hat dann zu dem Insolvenzantrag geführt.

Die Akten der Schuldnerin werden an unterschiedlichen Orten verwahrt:

Die Akten aus den Jahren 2001 und 2002 befinden sich bei den Eltern der Hauptgesellschafterin in Ahrensburg.

Die Akten 2003 und 2004 werden beim Liquidator in Frankreich verwahrt.

In einem geringen Umfang sollen sich sodann noch Buchhaltungsunterlagen für das Jahr 2004 beim Steuerberater der Schuldnerin in Hamburg befinden.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Keine Zuständigkeit des deutschen Insolvenzgerichtes:

Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO sind für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedstaates international zuständig, in dem der Schuldner den „Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen„ (=„centre of main interests„ = COMI) hat. Für Gesellschaften und juristische Personen gilt dabei die widerlegbare gesetzliche Vermutung, dass dieser Mittelpunkt der satzungsmäßige Sitz der Gesellschaft ist (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO). Dies wird auch durch die EuGH-Entscheidung vom 02.05.2006 (Eurofood./.Parmalat) bestätigt, wonach „Article 3 (1) of the Regulation provides that, in the case of company, the place of the registered office shall be presumed to be the centre of its main interests in the absence of proof to the contrary„.

Abzustellen ist bei der diesbezüglichen Untersuchungsfrage auf den Zeitpunkt der Antragstellung(EUGH, ZInsO 2006, 86 mit zust. Anmerkung J. Schmidt, 88; AG Celle, NZI 2005, 410; OLG Köln, NZI 2003, 567; OLG Frankfurt, NZI 2002, S.499, OLG Naumburg, ZIP 2001, S. 753, OLG Hamm, NZI 2000, 2...

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