Leitsatz (amtlich)
1. Im Regelfall muss es der berechtigte Benutzer eines fremden Grundstücks nicht hinnehmen, einer Videobeobachtung oder -aufzeichnung ausgesetzt zu werden.
2. Der Einsatz einer Kamera, die hinter einer schwarz getönten und dadurch blickdichten Kuppel aus Kunststoff verborgen ist (sog.
"Dome-Kamera"), rechtfertigt die Besorgnis einer Überwachung sämtlicher aus dieser Position sichtbarer Flächen, unabhängig von der jeweiligen Ausrichtung der Kamera.
3. Ist eine Überwachungskamera von Flächen aus sichtbar, die nicht überwacht werden dürfen, so hat der Betreiber die Anlage so einzurichten, dass Benutzer der vor Überwachung geschützten Fläche jederzeit sicher sein können, nicht überwacht zu werden.
Tenor
Gründe
I.
Die Parteien streiten über die Kosten einer Klage auf Entfernung einer Video-Überwachungsanlage.
Die 1945 geborene Beklagte ist schwerbehindert und zur Fortbewegung auf einen Rollator angewiesen. Die Parteien waren ursprünglich Nachbarn. Das Nachbarschaftsverhältnis zwischen den Parteien war durch Streitigkeiten, die in Strafanzeigen gipfelten, nachhaltig gestört.
Das vom Kläger bewohnte Hausgrundstück war neben dem von der Beklagten bewohnten Grundstück belegen und von der Straße aus nur über das Grundstück der Beklagten zu erreichen. Zu diesem Zwecke verfügte der Kläger über ein dinglich durch beschränkte persönliche Dienstbarkeit gesichertes Wegerecht an einem Teil des Beklagtengrundstücks. Nahe dem Überweg und dem von der Beklagten bewohnten Haus befand sich - ebenfalls auf dem Grundstück der Beklagten belegen - ein Stellplatz, auf welchem die Beklagte ihr Kraftfahrzeug abstellte. Das dort abgestellte Kraftfahrzeug der Beklagten wurde mehrfach zerkratzt. Daraufhin ließ die Beklagte im Frühjahr 2009 an ihrem Haus zwei fest installierte, unbewegliche Filmkameras befestigen, die unstreitig zumindest den Bereich des Stellplatzes filmten und deren Aufnahmen mit einem Digitalrekorder aufgezeichnet wurden. Die Kameras befanden sich jeweils hinter einer halbrunden schwarz getönten und dadurch blickdichten Kuppel aus Kunststoff (sog. "Dome-Kameras"). Die Hausseite, an welcher die beiden Kameras befestigt waren, war die dem Hausgrundstück des Klägers zugewandte Seite.
Der Kläger hat behauptet: Die Kameras erfassten auch die Zuwegung zu seinem Grundstück, zu deren Benutzung er kraft seines Wegerechts berechtigt war. Die Kameras hätten wahrscheinlich sogar das Grundstück des Beklagten selbst erfasst. Die Kameras ermöglichten der Beklagten eine 360 -Rundumsicht. Der Kläger war der Auffassung, die Kameras verletzten sein Persönlichkeitsrecht.
Der Kläger hatte den Antrag angekündigt,
die Beklagte zu verurteilen, die auf dem [...] installierte Video-Überwachungsanlage zu entfernen,
hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, die auf dem [...] installierte Video-Überwachungsanlage so einzustellen, dass nur noch eigene Grundstücksbereiche der Beklagten erfasst werden und weitere Überwachungen des Klägers auf dessen Grundstück [...] sowie auf dem vor den Grundstücken [...] und [...] gelegenen Zugangsweg (Brücke) unterlassen werden.
Die Beklagte hatte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach Klageerhebung hat die Beklagte die Videokameras abbauen lassen, weil sie beabsichtigte, wegzuziehen. Daraufhin haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt und stellen wechselseitige Kostenanträge.
II.
1.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91a ZPO. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten des erledigten Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen, weil diese voraussichtlich unterlegen wäre, hätte sie die Videokameras nicht zwischenzeitlich freiwillig entfernt.
Der Kläger konnte von der Beklagten Entfernung der installierten Video-Überwachungsanlage entsprechend § 1004 BGB verlangen unter dem Gesichtspunkt einer Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 und 2 GG).
a)
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt jedermann vor technisch gestützter Beobachtung und Aufzeichnung ohne seine Einwilligung. Die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und das unbefangene Gebrauchmachen von Grundrechten wäre gefährdet, müsste man jederzeit mit einer Beobachtung durch Personen, die man nicht sehen kann, oder mit einer reproduzierbaren Aufzeichnung des eigenen Verhaltens rechnen.
Das Bundesverfassungsgericht hat für das Versammlungsrecht anerkannt, das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung videoüberwacht wird, könne Einschüchterungswirkungen haben (BVerfGE 122, 342; ebenso VG Münster, NWVBl 2009, 487). Schon die Präsenz einer Kamera, die das Geschehen an eine andere, nicht übersehbare Stelle überträgt, könne Einschüchterungseffekte haben (BVerfG a.a.O.). Wer damit rechne, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, werde möglicherweise auf die Ausübung seines Grundr...