Tenor

  • I.

    Die Angeklagte Marzia Ayoobi wird freigesprochen.

  • II.

    Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

I.

Der Angeklagten wird vorgeworfen, sich einer Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. I StGB schuldig gemacht zu haben.

Die Staatsanwaltschaft legt ihr in dem Strafbefehl vom 24.11.2011 zur Last, am 11.07.2011 gegen 15.30 Uhr mit dem Flugzeug aus Athen kommend nach München gereist zu sein und sich bei der Einreisekontrolle am Flughafen mit der niederländischen Identitätskarte Nr. IRAE350247 mit den Aliaspersonalien Reinier Saskia, geb. am 16.03.1976 in den Niederlanden ausgewiesen zu haben. Bei dem ursprünglich nicht für die Angeklagte ausgestellten Ausweispapier war das Originallichtbild durch ein Lichtbild der Angeklagten ersetzt worden. Durch die Vorlage des Dokumentes habe die Angeklagte das Kontrollpersonal über ihre Identität täuschen wollen.

Hinsichtlich der ursprünglich im Strafbefehl noch enthaltenen Verwürfe der unerlaubten Einreise in Tateinheit mit unerlaubten Aufenthalt und unerlaubten Aufenthalt ohne Pass gem. §§ 3 Abs. I, 4 Abs. I, 14 Abs. I Nr. 1 u. 2, 48 Abs. II, 95 Abs. I Nr. 1 AufenthG hat das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft gem. § 154a Abs. II StPO von der Verfolgung abgesehen.

II.

Von dem Vorwurf der Urkundenfälschung war die Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

Nach Artikel 31 Abs. I der Genfer Flüchtlingskonvention kann derjenige nicht wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalt verurteilt werden, der unmittelbar aus einem Gebiet kommt, in dem sein Leben oder seine Freiheit im Sinne von Artikel 1 der Konvention bedroht waren, vorausgesetzt, dass sich derjenige unverzüglich bei den Behörden meldet und Gründe darlegt, die seine unrechtmäßige Einreise rechtfertigen. Es ist anerkannt, dass Artikel 31 Abs. I in Verbindung mit § 95 Abs. V AufenthG einen persönlichen Strafaufhebungsgrund für die Asylsuchenden darstellt, bei denen die genannten Voraussetzungen vorliegen.

Umstritten ist, ob die Straflosigkeit auf Verstöße nach dem Aufenthaltsgesetz beschränkt ist, oder ob sie sich wegen des Schutzzwecks des Art. 31 Abs I Genfer Flüchtlingskonvention auch auf die Begleitdelikte der unerlaubten Einreise, wie Urkundendelikte erstreckt. In der Stellungnahme des UNHCR vom Mai 2004 über die Auslegung und Reichweite des Art. 31 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention wird unter Ziffer 3.2 ausgeführt:

" Angesichts zunehmender Visumspflichten und der Sanktionen für Beförderungsunternehmen bei der Beförderung von Personen ohne gültige Dokumente, entspricht es heute geradezu der typischen Situation eines Flüchtlings, zur Ausreise aus dem Verfolgerstaat und Einreise in den Zufluchtstaat gefälschte Dokumente gebrauchen zu müssen. (...) Benutzt der Flüchtling die unechten Dokumente lediglich, um eine Ausreise aus dem Verfolgerstaat und die ,unmittelbare' Einreise in den Zufluchtsstaat zu erreichen, verletzt er damit keine über den Schutz der territorialen Integrität des Aufenthaltsstaates hinausgehenden Rechtsgüter, um sein Leben, Leib und Freiheit als vorrangige Rechtsgüter zu schützen. Der Schutzzweck des Art. 31 Abs. I GFK erfordert es daher, dass der Flüchtling für begangene Urkundsdelikte im gleichen Umfang straflos bleibt wie für die mit der illegalen Einreise verwirklichten Straftatbestände."

Das Oberlandesgericht München führt dagegen in seinem Beschluss vom 29.03.2010 (5 St RR (II) 79/10) aus, dass es nicht im Schutzbereich des Artikel 31 Genfer Flüchtlingskonvention liege,

"kriminellem Tun Vorschub zu leisten, wie es bei dem Gebrauch von falschen Papieren, die entgeltlich von Schleusern erworben wurden, der Fall ist. Artikel 31 Abs. I soll lediglich die Pönalisierung des Grenzübertritts unterbinden, nicht aber staatliche Interessen gefährden oder gar die staatliche Souveränität beeinträchtigen. Die wahre Identität des Flüchtlings ist für den Aufnahmestaat von hohem Interesse. Ohne sie ist die Prüfung, ob überhaupt die in Artikel 1 Genfer Flüchtlingskonvention beschriebene Verfolgungssituation bei dem Betroffenen vorliegt, unmöglich. Die wahre Identität kann in erster Linie nur durch echte Ausweispapiere nachgewiesen werden. Deshalb kann der Mitgliedstaat die durch Urkundenfälschung begangene Identitätsverschleierung durchaus zum Anlass nehmen, um sie zu bestrafen."

Die Angeklagte ist nach Aktenlage und insoweit unstreitig mit ihren 3 Kindern aus Afghanistan mit Hilfe von Schleusern nach Griechenland geflüchtet und von dort mit dem Flugzeug nach München gereist. Auf dem Weg von Afghanistan nach Griechenland ging der 11-jährige Sohn der Angeklagten verloren, er ist seither unbekannten Aufenthalts. Bei der Kontrolle durch die Polizei am Flughafen in München wies sich die Angeklagte mit einer gefälschten niederländischen Identitätskarte aus, die sie von den Schleusern erhalten hatte. In der anschließenden polizeilichen Vernehmung äußerte die Angeklagte, dass sie für sich und ihre Töchter in Deutschland Asyl begehre. Sie...

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