Leitsatz (amtlich)
Ist dem Verteidiger auf seine Anforderung von der Verwaltungsbehörde nicht die Lebensakte eines Geschwindigkeitsmessgerätes zur Verfügung gestellt worden, rechtfertigt dieser Umstand eine Erhöhung des Toleranzabzugs hinsichtlich der dem Verfahren zugrunde liegenden Geschwindigkeitsmessung um 10%.
Normenkette
BKat Nr. 11.3.4; OWiG § 46 Abs. 1; StPO § 465 Abs. 1
Tenor
Der Betroffene wird wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h zu einer Geldbuße von 70,00 EUR verurteilt.
Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.
Angewendete Vorschriften: §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO; 24 StVG; 11.3.4
Gründe
Der Betroffene wurde am xx.xx.xxxx in Iserlohn geboren. Über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist nichts weiter bekannt.
Ausweislich einer Auskunft aus dem Verkehrszentralregister sind dort für den Betroffenen keine Eintragungen verzeichnet.
Der Betroffene befuhr am 29.10.2011 gegen 22.46 Uhr in Schwerte die Rote-Haus-Straße in Fahrtrichtung Iserlohn. Aufgrund einer Gefahrenstelle (Börstinger Hof mit Reitplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite) ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit an dieser Stelle, die sich außerhalb geschlossener Ortschaften befindet, auf 70 km/h durch entsprechendes Verkehrszeichen begrenzt. Das Verkehrszeichen, das die Geschwindigkeit in Fahrtrichtung Iserlohn regelt, befindet sich ca. 355 Meter vor der etwa rechtwinkligen Einmündung zum Reitplatz. Die Einmündung zum Börstinger Hof liegt der Einmündung zum Reitplatz auf dieser Höhe genau gegenüber. Jenen Bereich der Rote-Haus-Straße befuhr der Betroffene zum vorgenannten Zeitpunkt mit dem Fahrzeug der Marke BMW, amtliches Kennzeichen XXXXX, mit einer Geschwindigkeit von 91 km/h.
Die Geschwindigkeitsmessung wurde mit dem Messsystem TRAFF1PAX SpeedoPhot (Radarwagen) von dem Zeugen H. vorgenommen und zwar ca. 355 Meter hinter dem Verkehrsschild "70", in Höhe der Einmündung zum Reitplatz.
Der vorstehender Sachverhalt steht für das Gericht aufgrund des in Augenschein genommenen Messprotokolls, des Eichscheins, des Schuldungsnachweises des Zeugen H., des Beschilderungsplans sowie der Einlassung des Betroffenen vom 10.07.2012 und des Verteidigers im Hauptverhandlungstermin am 19.07.2012 fest.
Der Toleranzabzug war jedoch um 10% zu erhöhen, das ausweislich der Bußgeldakte seitens des Verteidigers mit Schriftsatz vom 31.01.2012 die Lebensakte für das Messgerät angefordert worden war und sogar wegen dieses Antrags ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt wurde. Dem ist die Verwaltungsbehörde nicht nachgekommen und hat die Lebensakte nicht übermittelt. Dementsprechend hat auch das erkennende Gericht keine genauen Erkenntnisse darüber gewinnen können, ob an dem betreffenden Messgerät zwischen Eichung (am 31.03.2011) und Messung (am 29.10.2011) Reparaturen oder sonstige Eingriffe vorgenommen worden sind. Die schriftliche Äußerung vom 15.12.2011 diesbezüglich vermag letzte Zweifel gegenüber einer Einsichtnahme in die Lebensakte nicht vollständig ausschließen. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts rechtfertigt dieser Umstand eine Erhöhung des Toleranzabzugs und somit zu einer Geschwindigkeit von 91 km/h.
IV.
Der Betroffene hat somit gegen das sich aus dem Verkehrsschild ("70") i.V.m. § 41 Abs. 1 StVO ergebende Verbot, in dem dem Schild nachfolgenden Straßenbereich nicht mehr als 70 km/h zu fahren, verstoßen. Da er dabei mindestens fahrlässig gehandelt hat, hat er den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG erfüllt.
V.
Gegen den Betroffenen war eine Geldbuße festzusetzen. Der Bußgeldkatalog sieht bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 21 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften eine Regelbuße von 70,00 EUR vor (11.3.4 BKat). Das Gericht hält diese Regelbuße vorliegend für schuldangemessen und ausreichend und hat entsprechend darauf erkannt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 1 OVVIG, 465 Abs. 1 StPO. Trotz der erfolgten Herabsetzung des Bußgelds gegenüber dem angefochtenen Bußgeldbescheid war eine Kostenteilung nicht möglich (vgl. Seitz in Göhler, Komm. zum OWiG, 15. Aufl. 2009, Rn. 42 zu § 67).
Fundstellen
Haufe-Index 4712406 |
VRA 2012, 157 |
VRR 2012, 354 |