Verfahrensgebühr entsteht neben Grundgebühr
Neben der Grundgebühr entsteht immer zugleich auch die Verfahrensgebühr, da diese nach Vorbem. 5 Abs. 2 VV "für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information" entsteht. Nun ist es aber nicht möglich, sich in die Sache einzuarbeiten, ohne Informationen entgegenzunehmen und bereits die Verteidigung zu betreiben. Das hat der Gesetzgeber jetzt durch die hinzugesetzte Formulierung, wonach die Grundgebühr "neben der Verfahrensgebühr" anfällt, klargestellt. Die früher vertretene Auffassung, dass Grund- und Verfahrensgebühr voneinander abzugrenzen seien und die Verfahrensgebühr erst entstehen könne, wenn der Abgeltungsbereich der Grundgebühr beendet sei, kann danach nicht weiter aufrechterhalten werden. Unzutreffend ist daher auch die Auffassung, zum Entstehen der Verfahrensgebühr neben der Grundgebühr müsse anwaltlich versichert werden, dass neben der Einarbeitung eine die Verfahrensgebühr rechtfertigende anwaltliche Tätigkeit entfaltet wurde (so LG Saarbrücken AGS 2015, 389). Wenn eine Grundgebühr angefallen ist, dann ist zwangsläufig auch eine Verfahrensgebühr entstanden.
Das Problem wird sich nach der neuen Gesetzeslage – wie auch zum Teil bisher – in die Gebührenbestimmung nach § 14 Abs. 1 RVG verlagern. Soweit ein Mandat schon während der Einarbeitungsphase wieder beendet wird, wird man im Rahmen der Gebührenbemessung bei der Verfahrensgebühr nach § 14 Abs. 1 RVG in der Regel von einem unterdurchschnittlichen Umfang ausgehen müssen. Auch wenn hier eine Abwägung aller Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG stattzufinden hat, muss damit gerechnet werden, dass die bisherige Gegenauffassung dazu übergeht, in dieser Phase nur die Mindestgebühr der Verfahrensgebühr zuzusprechen. Bei einem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Anwalt wird sich das Problem wegen der Festbeträge nicht stellen.
Beispiel
Der Anwalt wird mit der Verteidigung in einer Bußgeldsache (drohendes Bußgeld 80,00 EUR) beauftragt und beantragt zunächst Akteneinsicht. Noch bevor der Anwalt die Akten zur Einsichtnahme erhält, wird das Verfahren eingestellt.
Auch wenn sich das Mandat noch in der Einarbeitungsphase befindet, ist neben der Grundgebühr der Nr. 5100 VV die entsprechende Verfahrensgebühr nach Vorbem. 5 Abs. 2, Nr. 5103 VV entstanden. Der geringe Umfang der anwaltlichen Tätigkeit bei der Verfahrensgebühr kann hier allerdings im Rahmen des § 14 Abs. 1 RVG zu berücksichtigen sein. Bei einer im unteren Bereich anzusetzenden Verfahrensgebühr (halbe Mittelgebühr) ergibt sich daher folgende Berechnung:
1. |
Grundgebühr, Nr. 5100 VV |
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100,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV |
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80,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
200,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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38,00 EUR |
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Gesamt |
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238,00 EUR |
Für den Pflichtanwalt spielen die Bemessungskriterien wegen der dort vorgesehenen Festgebühren keine Rolle. Für ihn ergibt sich daher folgende Berechnung:
1. |
Grundgebühr, Nr. 5100 VV |
|
80,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV |
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128,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
228,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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43,32 EUR |
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Gesamt |
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271,32 EUR |
Dass er in diesem Fall mehr erhält als ein Wahlverteidiger, ist dem Pauschsystem geschuldet und daher hinzunehmen.
AGKompakt 2/2020, S. 20 - 23