Gerichte verkennen den Anwendungsbereich der Verfahrensgebühr
Immer wieder kommt es vor, dass im Rahmen der Vergütungs- oder Kostenfestsetzung der Ansatz der Verfahrensgebühr aus Nr. 4104 VV im vorbereitenden Verfahren in Frage gestellt wird, weil der Verteidiger keine über die Einarbeitung hinausgehende Tätigkeit entfaltet habe, so ein Hinweisbeschluss des AG Siegen:
"in pp. werden Sie gebeten, die Kostenrechnung vom ... zu überprüfen und eine berichtigte Rechnung zu den Akten zu reichen:"
Das Entstehen der Gebühr gem. Nrn. 4104 bzw. 4105 VV ist aus der Akte nicht ersichtlich. Nach den Nachbemerkungen zu Nr. 4104 VV entsteht die Gebühr für eine Tätigkeit in dem vorbereitenden Verfahren bis zum Eingang der Anklageschrift bei Gericht. Eine Tätigkeit, die über die Entgegennahme der Information oder Akteneinsicht hinausgeht, müsste glaubhaft gemacht werden. Insoweit erhalten Sie Gelegenheit zum Sachvortrag.“
Ein solcher Hinweis zeugt leider von mangelnder Gesetzeskenntnis.
Verfahrensgebühr entsteht für das Betreiben des Geschäfts
Eine Verfahrensgebühr entsteht für das Betreiben des Geschäfts. Dazu gehört auch die Einarbeitung. Wer sich in eine Sache einarbeitet, betreibt notwendigerweise das Geschäft. Eine Einarbeitung, ohne das Geschäft zu betreiben, ist logischerweise nicht möglich.
Demzufolge hat der Gesetzgeber mit dem 2. KostRMoG den Wortlaut der Nr. 4100 VV geändert und klargestellt, dass die Grundgebühr neben der Verfahrensgebühr entsteht. Damit sollte der zum Teil vertretenen Ansicht entgegen gewirkt werden, wonach Grund- und Verfahrensgebühr nicht nebeneinander entstehen könnten, sondern nur nacheinander.
In der Begründung des Regierungsentwurfs zu Nr. 4100 VV lautet es:
In der gerichtlichen Praxis wird zum Teil die Auffassung vertreten, die Grundgebühr könne auch selbstständig anfallen. Mehrfache Akteneinsicht, Sachstandsanfragen und die Beantragung von Besuchserlaubnissen stellten keine anwaltlichen Tätigkeiten dar, die über die bereits von der Grundgebühr erfassten Tätigkeiten hinausgingen. Die Abgrenzung führt immer wieder zu Schwierigkeiten. Oft befasst sich das Gericht damit, wie umfangreich das erste Gespräch mit dem Mandanten sein darf, damit dieses noch durch die Grundgebühr abgegolten ist. Mit der vorgeschlagenen Formulierung soll verdeutlicht werden, dass die Grundgebühr grundsätzlich nicht allein anfällt, sondern regelmäßig neben einer Verfahrensgebühr. Für die Tätigkeit in einem jeden gerichtlichen Verfahren entsteht eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr. Durch sie wird bereits die Information als Bestandteil des "Betreibens des Geschäfts" entgolten, so auch in Strafsachen (Vorbemerkung 4 Absatz 2 VV RVG). Die Grundgebühr soll den zusätzlichen Aufwand entgelten, der für die erstmalige Einarbeitung anfällt. Sie hat daher den Charakter einer Zusatzgebühr, die den Rahmen der Verfahrensgebühr erweitert.
Damit ist also eindeutig, dass Grundgebühr und Verfahrensgebühr nebeneinander entstehen und eine Grundgebühr ohne eine Verfahrensgebühr notwendigerweise nicht möglich ist.
Im zugrunde liegenden Fall des AG Siegen ging es um die Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung. Da hier Festgebühren vorgesehen sind, war also die angemeldete Verfahrensgebühr in vollem Umfang festzusetzen.
Unterdurchschnittlicher Gebührenbetrag beim Wahlanwalt
Bei einem Wahlanwalt verhält es sich etwas anders. Auch hier entstehen zwar beide Gebühren gleichzeitig; da hier allerdings ein Gebührenrahmen vorgesehen ist, wird hier die Verfahrensgebühr der Nr. 4104 VV in der Regel unterdurchschnittlich ausfallen, wenn über die Einarbeitung hinaus keine nennenswerten weiteren Tätigkeiten entfaltet worden sind.
AGKompakt 3/2019, S. 33