Leitsatz
Ein Stillhalteabkommen bezüglich einer eingelegten Berufung kommt nur bei ausdrücklicher Zustimmung des gegnerischen Anwalts zustande. Allein das bloße Schweigen der Gegenseite auf die Bitte, sich noch nicht bei Gericht zu bestellen, kann nicht als Zustimmung gewertet werden.
OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 27.4.2010 – 11 W 59/09
1 I. Der Fall
Nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils hatte die Klägerin Berufung eingelegt. Der Berufungsschriftsatz enthielt die Erklärung, dass die Berufung zunächst nur aus Gründen der Fristwahrung eingelegt werde und der gegnerische Prozessbevollmächtigte sich noch nicht bestellen möge. Einige Zeit später fragte eine Mitarbeiterin des Beklagten beim Prozessbevollmächtigten der Klägerin nach, ob die Berufung denn nun durchgeführt werde. Die Berufung wurde vor ihrer Begründung zurückgenommen. Für den Anwalt des Beklagten wurde eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nrn. 3200. 3201 VV festgesetzt, da er in einem Telefonat mit seinem Mandanten das mögliche Vorgehen im Berufungsrechtszug erörtert hatte. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin blieb ohne Erfolg.
2 II. Die Entscheidung
Verminderte Verfahrensgebühr ist entstanden
Die Entstehung der verminderten Verfahrensgebühr setzt nicht voraus, dass Anträge gestellt wurden oder der Prozessbevollmächtigte nach außen in Erscheinung getreten ist. Es genügt, dass er für das Berufungsverfahren beauftragt wurde und von seinem Mandanten die Informationen entgegengenommen hat.
Verminderte Verfahrensgebühr ist mangels Stillhalteabkommen auch erstattungsfähig
Die Parteien haben kein Stillhalteabkommen geschlossen, welches der Erstattungsfähigkeit der verminderten Verfahrensgebühr entgegenstehen könnte. Denn dies setzt voraus, dass der gegnerische Anwalt einer solchen Vereinbarung ausdrücklich zustimmt. Allein das Schweigen auf die Bitte des Berufungsklägers, sich noch nicht zu bestellen, reicht dazu nicht aus. Auch durch die Nachfrage einer Mitarbeiterin des gegnerischen Prozessbevollmächtigten ist ein solches Stillhalteabkommen nicht konkludent zustande gekommen. Denn allein die Nachfrage, ob das Berufungsverfahren durchgeführt werde, ist nicht als (konkludente) Zustimmung auszulegen, dass der Anwalt des Berufungsbeklagten auf die Erstattung der für ihn entstandenen Gebühren verzichten will.
3 III. Der Praxistipp
Verminderte Verfahrensgebühr auch bei Rechtsmittel nur zur Fristwahrung
Wird ein Rechtsmittel mit dem ausdrücklichen Hinweis eingelegt, dass es (zunächst) nur zur Fristwahrung erfolgt, hindert dies nicht die Entstehung der verminderten Verfahrensgebühr nach Nrn. 3200, 3201 VV. Denn nach ständiger Rspr. darf der Gegner auch in solchen Fällen einen Anwalt beauftragen, der für ihn tätig wird bzw. sich zu den Akten bestellt (vgl. nur OLG Saarbrücken OLGR 2006, 1096; OLG Köln OLGR 1997, 323; OLG Düsseldorf OLGR 1997, 87). Die einzige Möglichkeit für den Rechtsmittelkläger, eine Kostentragung für das Rechtsmittelverfahren insgesamt zu vermeiden, besteht also im Abschluss eines Stillhalteabkommens.
Stillhalteabkommen muss ausdrücklich geschlossen werden
Die Rspr. ist mit der Annahme eines konkludent geschlossenen Stillhalteabkommens zu Recht sehr zurückhaltend. Soweit nicht im betreffenden Gerichtsbezirk ausnahmsweise eine entsprechende Übung besteht, sollte der Anwalt daher immer eine ausdrückliche Zustimmungserklärung des Gegners erwirken.