Wiederaufnahme nach Erledigung kann zu neuer Angelegenheit führen
Bereits durch das KostRÄndG 1994 war in den damaligen § 13 BRAGO die Regelung des Abs. 5 S. 2 eingeführt worden, die sich jetzt inhaltsgleich in § 15 Abs. 5 S. 2 RVG wiederfindet. Die bis dahin geltende Regelung, dass der Anwalt bei Wiederaufnahme einer bereits erledigten Angelegenheit die Gebühren nicht erneut verlangen konnte, war in vielen Fällen als unbillig angesehen worden. Bis dahin konnte der Anwalt bei erneuter Beauftragung in derselben Sache niemals neue Gebühren verlangen, obwohl er sich vollkommen neu in die Sache einarbeiten musste. Zum Teil hatte die Rspr. nach Ablauf längerer Zeiträume zwar eine neue Angelegenheit angenommen; eine eindeutige Rechtslage existierte jedoch nicht. Um hier Klarheit zu schaffen, hatte der Gesetzgeber bereits in dem damaligen § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO einen Zeitraum von zwei Kalenderjahren festgelegt.
Maßgebend sind zwei Kalenderjahre
Liegt zwischen der Erledigung des ersten Auftrags und der Erteilung des Auftrags, in derselben Sache weiter tätig zu werden, ein Zeitraum von mehr als zwei Kalenderjahren, so handelt es sich kraft der Fiktion des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG um eine neue Angelegenheit, sodass der Anwalt sämtliche Gebühren erneut verlangen darf.
Neue Angelegenheit auch dann, wenn die erledigte Angelegenheit noch nach der BRAGO abzurechnen war
Da die entsprechende Regelung bereits in § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO enthalten war, ist sie also auch dann zu beachten, wenn der vorherige Auftrag vor dem 1.7.2004 (also vor Inkrafttreten des RVG) erteilt worden war. Auch dann gilt der neue Auftrag nach Ablauf von zwei Kalenderjahren als neue Angelegenheit. Zu berücksichtigen ist in diesem Fall allerdings, dass nach § 61 RVG für die neue Angelegenheit bereits das RVG anzuwenden ist, während es für die vorherige Angelegenheit bei der BRAGO bleibt.
Erforderlich sind zwei Kalenderjahre
Bei der Zweijahresfrist muss es sich um zwei Kalenderjahre handeln. Zwei Jahre alleine reichen noch nicht aus.
Frist beginnt mit Jahresablauf
Die Zweijahresfrist des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der vorangegangene Auftrag erledigt worden ist.
Der Anwalt war im Januar 2008 beauftragt worden, Gewährleistungsansprüche wegen Baumängeln geltend zu machen. Es wurde außergerichtlich ein Gutachten eingeholt, das einen Teil der Mängel bestätigt hatte. Im Anschluss daran wollten die Parteien sich selbst über die durchzuführenden Arbeiten verständigen, sodass der Auftrag des Anwalts im November 2008 beendet und abgerechnet wurde. Im Januar 2011 teilte der Mandant mit, dass die Mängelbeseitigungsarbeiten der Gegenseite nicht oder nur unzureichend durchgeführt worden seien und beauftragte den Anwalt erneut, ihn wegen seiner Gewährleistungsansprüche zu vertreten.
Der ursprüngliche Auftrag war im November 2008 erledigt. Mit Ablauf des Jahres 2008 begann somit die Zweijahresfrist, die zum 31.12.2010 abgelaufen war. Der weitere Auftrag gilt somit gem. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG als neue Angelegenheit. Der Anwalt kann also die Geschäftsgebühr erneut abrechnen.
Der Anwalt hatte im Juli 2008 den Aufraggeber in einem Erbscheinverfahren vertreten. Dem Auftraggeber wurde schließlich im November 2008 der beantragte Erbschein erteilt. Im März 2011 tauchte ein neues Testament auf, sodass das Nachlassgericht den Erbschein einzog und das Verfahren wieder aufnahm. Der Anwalt vertritt den Auftraggeber auch im weiteren Verfahren.
Der ursprüngliche Auftrag war im November 2008 mit Erteilung des Erbscheins erledigt. Bei Wiederaufnahme des Verfahrens waren somit zwei Kalenderjahre verstrichen, sodass die weitere Tätigkeit gem. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG als neue Angelegenheit gilt. Der Anwalt kann also die Verfahrensgebühr erneut abrechnen.
Nach § 15 Abs. 5 S. 2 RVG muss die vorangegangene Angelegenheit erledigt gewesen sein. Insoweit kann auf die Definition der Erledigung in § 8 Abs. 1 RVG zurückgegriffen werden.
Fälligkeit reicht nicht aus
Unzutreffend ist es dagegen, auf die Fälligkeit der Gebühren des vorangegangenen Auftrags i.S.d. § 8 Abs. 1 RVG abzustellen (so aber OLG Karlsruhe JurBüro 1998, 26 = AnwBl 1998, 217; OLG Saarbrücken AGS 2006, 218; OLG Stuttgart AGS 2003, 19 = OLGR 2002, 345 = Justiz 2002, 510 = JurBüro 2002, 526 = Rpfleger 2002, 574 = MDR 2003, 117 = BRAGOreport 2002, 183). Diese Rspr. verkennt, dass die Fälligkeit nur in einem Fall an die Erledigung anknüpft, daneben aber auch unter anderen Voraussetzungen eintreten kann, obwohl die Angelegenheit noch nicht erledigt ist, etwa bei Ruhen des Verfahrens, bei Erlass einer Kostenentscheidung etc. Fälligkeit allein reicht daher nicht aus (FG Baden Württemberg AGS 2010, 606 = EFG 2011, 373 = StE 2010, 729).
Ruhen des Verfahrens
Ruht ein Verfahren mehr als zwei Kalenderjahre, so ist § 15 Abs. 5 S. 2 RVG nicht anwendbar, weil der Anwalt während des Ruhens weiterhin beauftragt bleibt und weiterhin tätig werden muss. Er muss z.B. regelmäßig prüfen, ob die Voraussetzungen ...