Leitsatz
Werden mehrere Strafverfahren miteinander verbunden und wird erst hiernach der Anwalt als Pflichtverteidiger bestellt, erstreckt sich die Bestellung auch auf die vor der Bestellung entstandene Vergütung des Verteidigers in beiden Verfahren.
LG Aurich, Beschl. v. 4.1.2011 – 12 Qs 213/10
1 I. Der Fall
Gegen den späteren Angeklagten war zunächst in zwei gesonderten Verfahren getrennt ermittelt worden. Später wurden jeweils gesonderte Anklagen erhoben (6c Ds 232/10 und 6c Ds 226/10). Nach Anklageerhebung und Eröffnung des Hauptverfahrens hat das AG beide Verfahren miteinander verbunden und den Anwalt als Pflichtverteidiger bestellt.
Nach Abschluss des Verfahrens beantragte der Pflichtverteidiger die Festsetzung seiner Vergütung aus der Landeskasse, und zwar für beide Verfahren bis zur Verbindung jeweils eine gesonderte Vergütung.
Der Urkundsbeamte hat dem Festsetzungsantrag hinsichtlich der Vergütung für das führende Verfahren (6c Ds 226/10) stattgegeben und im Übrigen den Festsetzungsantrag zurückgewiesen. Die Erinnerung blieb erfolglos; die Beschwerde hatte Erfolg.
2 II. Die Entscheidung
Verbindung führt zur "Verschmelzung" der Verfahren
Das Gericht führt zunächst aus, dass bis zur Verbindung sämtliche Gebühren und Auslagen gesondert entstanden sind. Erst mit der Verbindung sind sie zu einer einzigen Angelegenheit "verschmolzen", sodass erst ab diesem Zeitpunkt die Gebühren nur einmal anfallen konnten.
Sämtliche Gebühren und Auslagen waren auch aus der Landeskasse zu zahlen. Insoweit hat der Urkundsbeamte verkannt, dass hier kein Fall des § 48 Abs. 5 S. 3 RVG vorliegt, wonach im Falle einer Verbindung durch ausdrücklichen Beschluss des Gerichts klargestellt werden muss, wenn sich die Bestellung auch auf das hinzuverbundene Verfahren erstrecken soll. Diese Vorschrift gilt nämlich nur dann, wenn der Anwalt bereits in einem Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt war und ein anderes Verfahren hinzuverbunden wird, in dem er (noch) nicht als Pflichtverteidiger bestellt ist.
§ 48 Abs. 5 S. 3 RVG gilt nicht bei Bestellung nach Verbindung
Die Vorschrift des § 48 Abs. 5 S. 3 RVG ist dagegen nicht anwendbar, wenn die Pflichtverteidigerbestellung erst nach Verbindung ausgesprochen wird. Dann richtet sich die Rückwirkung der Bestellung im erstinstanzlichen Verfahren nach § 48 Abs. 5 S. 1 RVG und im Rechtsmittelverfahren nach § 48 Abs. 5 S. 2 RVG.
3 III. Der Praxistipp
Die Entscheidung ist zutreffend. Die Vorschrift des § 48 Abs. 5 S. 3 RVG betrifft nur den Fall, dass mehrere Verfahren verbunden werden und der Anwalt in einem oder mehreren dieser Verfahren bereits gerichtlich bestellt oder beigeordnet war und in einem oder mehreren hinzuverbundenen Verfahren dagegen nicht.
Wird die Bestellung oder Beiordnung dagegen erst nach einer Verbindung ausgesprochen, gilt für alle verbundenen Verfahren die Rückwirkungsfiktion nach § 48 Abs. 5 S. 1 und 2 RVG.
Ebenso wenig ist § 48 Abs. 5 S. 3 RVG anzuwenden, wenn der Anwalt vor Verbindung in den einzelnen Verfahren bereits gerichtlich bestellt oder beigeordnet war. Auch dann richtet sich in den einzelnen Verfahren die Rückwirkung jeweils nach § 48 Abs. 5 S. 1 und 2 RVG.