Leitsatz (amtlich)
Auf eine Erstreckung nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG kommt es nicht an, nicht, wenn mehrere Verfahren zunächst verbunden werden und dann die Beiordnung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger erfolgt ist.
Verfahrensgang
AG Leer (Entscheidung vom 11.10.2010; Aktenzeichen 6c Ds 226/10) |
Tenor
I.
Auf die Beschwerde wird der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Leer vom 11.10.2010 (Az.: 6c Ds 226/10) dahingehend abgeändert, dass dem Beschwerdeführer über den bereits festgesetzten Betrag in Höhe von 1.229,27 EUR weitere Gebühren in Höhe von 304,64 EUR zu erstatten sind.
II.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet
Gründe
I.
Die Verfahren 6c Ds 233/10 und 6c Ds 226/10 sind mit Beschluss vom 29.04.2010 zur gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung verbunden worden, wobei das letztgenannte Verfahren führt. Der Beschwerdeführer war in beiden Verfahren zuvor bereits im Ermittlungsverfahren als Wahlverteidiger tätig gewesen. So hat dieser im Verfahren 6c Ds 233/10 am 19.01.2010 gegenüber der Ermittlungsbehörde und - nach Anklagezustellung - am 08.04.2010 gegenüber dem Amtsgericht Leer Akteneinsicht beantragt. Im nunmehr führenden Verfahren 6c Ds 226/10 erfolgte ebenfalls nach Anklagezustellung der Antrag auf Akteneinsicht. Zugleich beantragte der Beschwerdeführer jeweils in beiden Verfahren die Beiordnung als Pflichtverteidiger. Erst mit Beschluss vom 12.05.2010 erfolgte in dem - verbundenen und führenden - Verfahren 6c Ds 226/10 die Bestellung des Beschwerdeführers zum Pflichtverteidiger.
Mit Antrag vom 17.08.2010 machte der Beschwerdeführer für das hinzuverbundene Verfahren 6c Ds 233/10 u.a. die Grundgebühr gem. VV Nr. 4100 RVG in Höhe von 132,-- EUR, die Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug gem. VV Nr. 4106 RVG in Höhe von 112,-- EUR und die Aktenversendungspauschale gem. VV Nr. 7000 Nr. 1 in Höhe von 12,-- EUR zzgl. Umsatzsteuer gem. VV 7008 geltend. Mit dem letztlich angefochtenen Vergütungsfestsetzungsbeschluss hat das Amtsgericht Leer diese drei Gebühren für das Verfahren 6c Ds 233/10 (nebst dem darauf entfallenden Anteil der Umsatzsteuer) abgesetzt, weil die Bestellung zum Pflichtverteidiger erst nach der Verbindung und damit nur in einem Verfahren erfolgt sei.
Die als "sofortige Beschwerde" bezeichnete Beschwerde gegen den die Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts Leer vom 03.12.2010 hat das Amtsgericht Leer nicht abgeholfen.
II.
Die als Beschwerde auszulegende "sofortige Beschwerde" ist gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG zulässig und begründet.
a)
Zwar ist im Ansatz zutreffend, dass durch die Verbindung der beiden Verfahren die zuvor bestehenden selbständigen Angelegenheiten gebührenrechtlich zu einer Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG verschmolzen. Das Amtsgericht Leer verkennt jedoch in dem angefochtenen Vergütungsfestsetzungsbeschluss, dass die beiden Verfahren bis zu ihrer Verbindung selbständige Angelegenheiten darstellten, in denen aufgrund der bis dahin entfalteten unstreitigen Tätigkeiten des Beschwerdeführers auch bereits Gebührenansprüche - jedenfalls gegenüber seinem Mandanten - angefallen waren (so auch LG Bonn, Beschluss vom 30.08.2006 - Az. 37 Qs 22/06; abrufbar unter www.burhoff.de).
b)
Unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 5 S. 1 RVG erhält der Rechtsanwalt im Fall seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger auch die Vergütung für die vor der Bestellung bereits erbrachten Tätigkeiten. Werden Verfahren verbunden, kann das Gericht anordnen, dass diese Rückwirkung sich auch auf die verbundenen Verfahren erstreckt, in denen eine Beiordnung noch nicht erfolgt war, § 48 Abs. 5 S. 3 RVG.
c)
Vorliegend folgt bereits aus § 48 Abs. 5 S. 1 RVG, dass dem Beschwerdeführer auch die in dem Verfahren 6c Ds 233/10 bis zur Verbindung erbrachten Tätigkeiten zu vergüten sind. Denn auch diese Tätigkeiten sind solche, die "vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung" (in dem hinzuverbundenen Verfahren) angefallen sind. Durch die Verbindung werden die beiden Angelegenheiten gebührenrechtlich zwar zu einer einzigen Angelegenheit, dies führt jedoch nicht dazu, dass die in den beiden selbständigen Verfahren bis zur Verbindung erlangten Vergütungsansprüche in Wegfall geraten würden (so auch LG Bonn a.a.O.). Diese wären vielmehr zunächst von dem Mandanten gesondert zu vergüten gewesen. Durch die Bestellung zum Pflichtverteidiger auch in diesem Verfahren sind die gesetzlichen Gebühren gemäß § 48 Abs. 5 S. 1 RVG dann aber ebenfalls von dem Gebührenanspruch des Verteidigers gegenüber der Staatskasse umfasst.
d)
Dies gilt hier, auch ohne auf die sog. "Erstreckung" gemäß § 48 Abs. 5 S. 3 RVG zurückgreifen zu müssen, obwohl - anders als noch unter der Geltung des § 97 Abs. 3 BRAGO anerkannt - die Erstreckung der Vergütung auf die zuvor erfolgte Tätigkeit als Wahlverteidiger grundsätzlich nicht mehr "automatisch", sondern nur auf ausdrückliche Anordnung des Gerichts hin eintritt (vgl. Burhoff, in: RVG19, § 48 RVG Rz. 146). Denn diese Vorsc...