Leitsatz
Die Regelungen der Prozesskostenhilfe (§ 125 Abs. 1 ZPO) und über eine Kostenbefreiung (§ 2 GKG) gehen § 30 GKG vor, so dass die Staatskasse die Kostenschuldner nur gem. der in einem Vergleich getroffenen Kostenvereinbarung in Anspruch nehmen kann.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.1.2011 – 9 WF 9/11
1 I. Der Fall
Der Klägerin wurde PKH bewilligt. In der ersten Instanz ist ein Urteil ergangen. Die Kosten hatten danach die Klägerin zu 16 % und der Beklagte zu 84 % zu tragen. Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren wurde ein wirksamer Vergleich geschlossen und darin die Aufhebung der Kosten vereinbart. Der Kostenbeamte der ersten Instanz hat die Kostenrechnung gleichwohl gemäß der Kostenquote des Urteils aufgestellt. Dagegen hat der Beklagte Erinnerung eingelegt. Die Erinnerung wurde durch das erstinstanzliche Gericht als unbegründet zurückgewiesen. Gegen die Erinnerungsentscheidung hat der Beklagte erfolgreich Beschwerde eingelegt.
2 II. Die Entscheidung
Vergleich beseitigt nicht Kostenhaftung aus Urteil oder Beschluss
Das Gericht hat festgestellt, das eine Kostenhaftung, die aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung besteht, nur durch eine andere gerichtliche Entscheidung aufgehoben oder abgeändert werden kann (§ 30 GKG). Ein gerichtlicher Vergleich stellt jedoch gerade keine gerichtliche Entscheidung dar, so dass er die Kostenhaftung gegenüber der Staatskasse, soweit sie nur auf dem Urteil beruht, nicht beseitigen kann.
Ausnahme gilt bei PKH-Bewilligung
Von diesem Grundsatz gibt es jedoch Ausnahmen. Ist einer Partei PKH bewilligt, egal ob mit oder ohne Zahlungsbestimmungen, können Kosten vom Gegner der PKH-Partei nur eingezogen werden, wenn dieser rechtskräftig in die Kosten verurteilt wurde oder die Kosten wirksam übernommen hat (§ 125 Abs. 1 ZPO). Wird die erstinstanzliche Entscheidung nicht mehr rechtskräftig, weil gegen sie Rechtsmittel eingelegt werden und in der höheren Instanz ein Vergleich geschlossen wird, kann die Entscheidung der unteren Instanz deshalb nicht mehr für den Kostenansatz der Staatskasse herangezogen werden. Insoweit geht § 125 Abs. 1 ZPO als lex speacialis dem § 30 GKG vor und es ist ausschließlich auf die Kostenregelung in dem Vergleich abzustellen.
3 III. Praxistipp
Für Kostenfestsetzung ist in jedem Fall nur Vergleich maßgeblich
Die Entscheidung ist zutreffend und kann wegen desselben Regelungsinhalts auch auf § 25 FamGKG angewendet werden. Ein Vergleich kann im Regelfall die aus einer Entscheidung resultierende Haftung gegenüber der Staatskasse nicht beseitigen, so dass für die Gerichtskostenrechnung der ersten Instanz weiterhin das Urteil maßgeblich ist (BGH NJW-RR 2001, 285; OLG Nürnberg MDR 2004, 417; OLG Naumburg AGS 2008, 407). Im Innenverhältnis der Parteien ist jedoch gleichwohl nur die Kostenregelung im Vergleich maßgeblich, so dass die Gerichtskosten dann nach Kostenausgleich (§ 106 ZPO) gegen den Gegner festgesetzt werden können.
Besonderheiten auch bei Kostenfreiheit
Durch die Kostenbeamten wird oftmals streng nach § 30 GKG, § 25 FamGKG verfahren, ohne die bestehenden Ausnahmen zu berücksichtigen. Dabei ist zu beachten, dass als Spezialregelung neben § 125 Abs. 1 ZPO auch § 2 Abs. 5 GKG und § 2 Abs. 3 FamGKG vorgehen (OLG Brandenburg NJ 2008, 317), denn auch sie verdrängen § 30 GKG, § 25 FamGKG, wenn ein Beteiligter Kosten- oder Gebührenfreiheit genießt. Würde die Staatskasse hier weiterhin den (nichtbefreiten) Kostenschuldner gem. der ausgeurteilten Kostenentscheidung heranziehen, könnte dieser die Kostenfestsetzung beantragen, soweit der gezahlte Betrag seine im Vergleich übernommene Haftung übersteigt. Die Kosten- oder Gebührenfreiheit wäre dann untergraben.
Nichtbeachtung mit Erinnerung angreifbar
Es empfiehlt sich daher stets, die übersandte Gerichtskostenrechnung zu überprüfen. Wurde in den Fällen der PKH/VKH-Bewilligung oder Kosten-/Gebührenfreiheit nach § 30 GKG oder § 25 FamGKG verfahren und die erstinstanzliche Kostenentscheidung zugrunde gelegt, ist Erinnerung (§ 66 GKG, § 57 FamGKG) einzulegen.