RVG VV Nrn. 3100, 3101; EuMVO Art. 17 Abs. 1
Leitsatz
Der Einspruch gegen einen Europäischen Zahlungsbefehl lässt für den Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners die volle Verfahrensgebühr entstehen.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.11.2009–5 W 2094/09
Sachverhalt
Das AG Berlin-Wedding hatte als Europäisches Mahngericht antragsgemäß einen europäischen Zahlungsbefehl erlassen. Hiergegen legte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin und späteren Beklagten Einspruch ein. Das AG gab daraufhin die Sache nach Art. 17 Abs. 1, 3 EuMVO i.V.m. § 1090 Abs. 2 ZPO an das LG Nürnberg-Fürth ab, das der Kläger auf Anfrage als zuständiges Prozessgericht bezeichnet hatte. Nach Eingang der Anspruchsbegründung ordnete das LG die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens an und wies den Kläger zugleich auf das Fehlen der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte hin. Daraufhin nahm der Kläger seine Klage zurück, woraufhin das LG ihm die Kosten des Rechtsstreits auferlegt (§ 269 Abs. 3 ZPO).
Auf Antrag der Beklagten hat das LG die ihr vom Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten festgesetzt. Dabei ist es vom Anfall einer 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV ausgegangen. Gegen diesen Beschluss hat der Kläger sofortige Beschwerde eingelegt. Er macht vor allem geltend, der Beklagtenvertreter habe allenfalls eine 0,8-Gebühr nach Nr. 3101 VV verdient.
Die sofortige Beschwerde hatte in der Sache keinen Erfolg.
Aus den Gründen
Der Beklagtenvertreter hat eine volle 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV verdient, weil er nicht nur im Mahnverfahren, sondern auch im Streitverfahren tätig geworden ist und vor Beendigung des Mandats einen Schriftsatz eingereicht hat, der einen verfahrenseinleitenden Antrag im Sinne der Nr. 3101 Nr. 1 VV enthalten hat.
1. Die Verfahrensgebühr ist mit dem Beginn der auftragsgemäßen Tätigkeit des Beklagtenvertreters – zunächst in Höhe einer 0,8-Gebühr (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl., Nr. 3100 Rn 43) – entstanden. Insoweit genügt nach der Klarstellung in der Vorbem. 3 Abs. 2 VV die Entgegennahme von Informationen durch den Rechtsanwalt. Der Beklagtenvertreter hat daher spätestens mit der Kenntnisnahme von der Anspruchsbegründung eine Verfahrensgebühr verdient. Bereits vorher hatte er mit Telefaxschreiben geltend gemacht, dass die Zuständigkeit des LG Nürnberg-Fürth für ihn nicht nachvollziehbar sei.
Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten auch hinreichend dargetan, dass ihm Prozessauftrag erteilt war. Wegen der noch zu erörternden Besonderheiten des Europäischen Mahnverfahrens ist eine Beschränkung auf die Vertretung im Mahnverfahren auf Schuldnerseite kaum vorstellbar.
2. Die Verfahrensgebühr ist in voller Höhe erwachsen, weil der Einspruch gegen den europäischen Zahlungsbefehl als verfahrenseinleitender Antrag i.S.d. Nr. 3101 Nr. 1 VV bewertet werden muss.
a) Nach einhelliger Meinung genügt zwar nicht der Widerspruch des Schuldnervertreters gegen den Mahnbescheid, wohl aber sein Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens nach § 696 Abs. 1 ZPO, um als verfahrenseinleitender Antrag in diesem Sinne die volle 1,3-Gebühr anfallen zu lassen (OLG Düsseldorf JurBüro 2004, 195, OLG Jena JurBüro 2000, 472; Bischof, RVG, 3. Aufl., Nr. 3101 VV Rn 31 und Nr. 3307 VV Rn 31; Gerold/Schmidt-Müller-Rabe a.a.O. VV 3305 Rn 53 f. je m. w. Nachw.). Der Beklagtenvertreter hat hier allerdings keinen Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens gestellt, sondern nur Einspruch gegen den Zahlungsbefehl eingelegt.
Andererseits ist anerkannt, dass der Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid als verfahrenseinleitender Antrag i.S.d. Nr. 3101 Nr. 1 VV die volle 1,3-Verfahrensgebühr entstehen lässt (OLG München JurBüro 1992, 325; Gerold/Schmidt-Müller-Rabe a.a.O.).
b) Der Einspruch gegen einen Europäischen Zahlungsbefehl entspricht eher dem Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid als dem Widerspruch gegen einen Mahnbescheid. Auch er lässt daher die volle 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV, nicht nur die 0,8-Gebühr nach Nr. 3101 VV, entstehen.
Das Europäische Mahnverfahren ist einstufig (Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl., § 1090 Rn 9). Der Erlass des Zahlungsbefehls ist die einzige in der EuMVO vorgesehene Sachentscheidung. Es gibt danach keinen "Europäischen Vollstreckungsbefehl". Wenn der Schuldner nicht rechtzeitig Einspruch einlegt, erklärt das Europäische Mahngericht den Zahlungsbefehl nach Art. 18 EuMVO für vollstreckbar. Aus ihm findet nach § 1093 ZPO ohne weiteres die Zwangsvollstreckung statt. Der Europäische Zahlungsbefehl ist in § 794 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, der Vollstreckungsbescheid in § 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO als Vollstreckungstitel aufgeführt. Er erwächst in Rechtskraft (Musielak/Voit, ZPO, 7. Aufl., §§ 1087 ff. Vorbem. Rn 4).
Auch die Bezeichnung und Wirkungsweise des gegen den Europäischen Zahlungsbefehl einerseits und den Vollstreckungsbescheid andererseits vorgesehenen Rechtsbehelfs ist identisch. Beide werden vom Gesetz Einspruch genannt (Art. 16 Abs. 1 EuMVO ...