a) Überblick
Wird der Anwalt beigeordnet, ohne dass ein Auftrag des Mandanten zugrunde liegt, kann auf § 60 Abs. 1 S. 1 RVG nicht zurückgegriffen werden. Insoweit gilt der Grundsatz des § 60 Abs. 1 S. 3 RVG mit der Ausnahme in § 60 Abs. 1 S. 4 RVG.
b) Der neue Gesetzestext
Fehlt es im Falle einer Beiordnung oder Bestellung an einem vorherigen Auftrag, ist der Zeitpunkt der Bestellung oder Beiordnung maßgebend. Das wird durch § 60 Abs. 1 S. 3 RVG klargestellt:
Zitat
(…) Steht dem Rechtsanwalt ein Vergütungsanspruch zu, ohne dass ihm zum Zeitpunkt der Beiordnung oder Bestellung ein unbedingter Auftrag desjenigen erteilt worden ist, dem er beigeordnet oder für den er bestellt wurde, so ist für diese Vergütung in derselben Angelegenheit bisheriges Recht anzuwenden, wenn die Beiordnung oder Bestellung des Rechtsanwalts vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung wirksam geworden ist. (…)
c) Anknüpfung an Bestellung oder Beiordnung
Stehen einem beigeordneten oder bestellten Anwalt Ansprüche gegen die Staatskasse zu, ohne dass ein vorheriger Auftrag des Mandanten zugrunde liegt, wird auf das Datum der Beiordnung oder der Bestellung abgestellt. Das gilt dann auch, wenn später nachträglich noch ein Auftrag des Mandanten erteilt wird (§ 60 Abs. 1 S. 5 RVG).
Beispiel 10
Der Anwalt war im Dezember 2020 als Pflichtverteidiger bestellt worden. Im Januar 2021 wird ihm der Wahlanwaltsauftrag erteilt.
Es gilt nicht § 60 Abs. 1 S. 1 RVG, sondern § 60 Abs. 1 S. 3 RVG. Maßgebend bleibt der frühere Zeitpunkt der Bestellung. Die spätere Auftragserteilung ist insoweit irrelevant (§ 60 Abs. 1 S. 5 RVG).
Beispiel 11
Der Anwalt ist im Dezember 2020 als Notanwalt gem. § 78b ZPO beigeordnet worden. Im Januar 2020 erteilt ihm der Mandant den Prozessauftrag.
Auch hier gilt nicht § 60 Abs. 1 S. 1 RVG, sondern § 60 Abs. 1 S. 3 RVG. Maßgebend bleibt auch hier die frühere Beiordnung.
d) Ausnahme (§ 60 Abs. 1 S. 4 RVG)
aa) Die Neufassung des Gesetzes
Soweit eine Bestellung oder Beiordnung auch weitere nachfolgende Tätigkeiten erfasst, wäre es unbillig, den Anwalt am alten Recht festzuhalten. Daher ist in § 60 Abs. 1 S. 4 RVG für diesen Fall eine Ausnahme vorgesehen:
Zitat
(…) Erfasst die Beiordnung oder Bestellung auch eine Angelegenheit, in der der Rechtsanwalt erst nach dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erstmalig beauftragt oder tätig wird, so ist insoweit für die Vergütung neues Recht anzuwenden. (…)
bb) Nachfolgender Auftrag oder Beginn der Tätigkeit
Auf den Zeitpunkt der Bestellung oder der Beiordnung kommt es nicht an, soweit eine Beiordnung oder Bestellung auch zukünftige Angelegenheiten erfasst, in der der Rechtsanwalt erst nach dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erstmalig beauftragt oder tätig wird. Insoweit ist dann auf den nachfolgenden Auftrag oder den Beginn der nachfolgenden Tätigkeit abzustellen.
Beispiel 12
Der Anwalt war im Dezember 2020 als Pflichtverteidiger bestellt worden. Im März 2021 findet die Hauptverhandlung statt, in der der Mandant verurteilt wird. Im April 2021 wird Berufung eingelegt und diese im Mai 2021 begründet.
Zwar erstreckt sich die Beiordnung aus Dezember 2020 auch auf das Berufungsverfahren in 2021. Jetzt gilt aber nicht § 60 Abs. 1 S. 3 RVG, sondern § 60 Abs. 1 S. 4 RVG. Maßgebend ist der Zeitpunkt des Auftrags zur Berufungsbegründung bzw. mangels Auftrags der Zeitpunkt des Einreichens der Berufungsbegründung.
Beispiel 13
Im Dezember 2020 war der Anwalt beauftragt worden, eine einstweilige Anordnung auf Unterhalt einzureichen und hierfür die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu beantragen. Die einstweilige Anordnung ist noch im Dezember 2020 erlassen worden. Gleichzeitig ist Verfahrenskostenhilfe bewilligt und der Anwalt beigeordnet worden. Im Januar 2021 ist der Anwalt beauftragt worden, aus der einstweiligen Anordnung zu vollstrecken.
Für das einstweilige Anordnungsverfahren gilt nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG noch das alte Recht, da der Auftrag vor dem 1.1.2021 erteilt worden ist.
Bei dem Vollstreckungsverfahren handelt es sich nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG aber um eine neue selbstständige Angelegenheit. Daher gelten hierfür bereits die neuen Gebührenbeträge. Zwar ist die Beiordnung für das Vollstreckungsverfahren schon im Dezember 2020 erfolgt. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass sich die Beiordnung in einem einstweiligen Anordnungsverfahren gem. § 48 Abs. 2 S. 1 RVG auch auf die Vollziehung bzw. Vollstreckung der einstweiligen Anordnung erstreckt und es keiner weiteren Beiordnung mehr bedarf. Hier ist aber in § 60 Abs. 1 S. 4 RVG klargestellt, dass neues Recht anzuwenden ist, wenn die Beiordnung sich auf Angelegenheiten erstreckt, bei denen der Auftrag erst später erteilt wird. Im Vollstreckungsverfahren gelten daher bereits die neuen Gebührenbeträge.