§ 76 Abs. 1 FamFG; § 115 Abs. 3 ZPO; § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII
Leitsatz
Ein Antragsteller muss sich in einem Verfahrenskostenhilfeprüfungsverfahren einen den Schonvermögensbetrag übersteigenden Teil seines Vermögens fiktiv zurechnen lassen, wenn er zum Zeitpunkt der Verringerung seines Vermögens auf ein unter der Schonvermögensgrenze liegendes Guthaben klar erkennen konnte, dass Verfahrenskosten auf ihn zukommen können.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 7.1.2021 – 13 WF 222/20
I. Sachverhalt
Die Antragstellerin hat beim AG Senftenberg die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe (VKH) beantragt. Das AG hat der Antragstellerin die VKH mit Beschl. v. 19.11.2020 (31 F 21/17 (2)) versagt. Hiergegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde (§ 76 Abs. 2 FamFG, §§ 567 ff. ZPO) eingelegt, das AG hat dieser nicht abgeholfen. Das OLG Brandenburg hat vorliegend entschieden, dass die Beschwerde unbegründet ist.
Der Antragstellerin ist vorliegend zuzumuten, die VKH aus dem den Schonvermögensbetrag übersteigenden Teil ihres Vermögens zu bestreiten. Sie hat ein monatliches Nettoeinkommen i.H.v. wenigstens 1.500,00 EUR. Die Antragstellerin hat angegeben, dass sie im Zusammenhang mit ihren Umzügen über ihr monatliches Einkommen hinaus mehr als 20.000,00 EUR von ihr für die Finanzierung von Kaution, neuer Wohnungseinrichtung und Geräten sowie für die normale Lebenshaltung, für die regelmäßige Anschaffung von Brillen und Kosten für ärztliche Behandlung, Rehabilitationsmaßnahmen und Therapien sowie Medikamente aufgewendet hat. Diese werden – auch in Ansehung ihrer Krankenversicherung – nicht als lebensnotwendige Ausgaben eingestuft. Vorliegend ist nicht ersichtlich, auch nicht in Ansehung ihres Nettoeinkommens, dass sie ihr Vermögen aus unabweisbar lebensnotwendigen Gründen zurückführen musste. Sie hat eine Verringerung ihres Vermögens auf ein unter dem Schonvermögensbetrag liegendes Guthaben zu einem Zeitpunkt herbeigeführt, als sie das Verfahren bereits begonnen hatte und ihr auch daher klar sein musste, dass Verfahrenskosten auf sie zukommen können.
Des Weiteren ist ihr ein Betrag aufgrund eines Vergleichs vom 18.11.2020 i.H.v. 15.000,00 EUR zugeflossen bzw. steht ihr dieser zu. Dieser Betrag ist hier miteinzubeziehen; dass ihr ein die Schonvermögensgrenze übersteigender Betrag aktuell möglicherweise nicht mehr zur Verfügung steht, ändert hieran nichts. Daher ist ihr Begehren nach staatlicher Verfahrensfinanzierung vorliegend rechtsmissbräuchlich (BGH VersR 2018, 1149).
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wurde aus den vorgenannten Gründen zurückgewiesen, eine Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen (§ 113 Abs. 1 FamFG, 574 Abs. 2, Abs. 3 ZPO).
II. Schonvermögensbetrag § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII
Gem. § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Abs. 1 S. 1 1 HS ZPO erhält eine Partei – ungeachtet der weiteren zur Gewährung von VKH notwendigen Voraussetzungen wie bspw. Der zu bejahenden Erfolgsaussicht des zugrundeliegenden Anspruchs oder dass das Begehren nicht mutwillig erscheinen darf, § 114 Abs. 1 S. 1 2 HS ZPO – VKH, wenn sie die Kosten der Prozessführung nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann.
Gem. § 76 Abs. 1 FamFG, § 115 Abs. 3 ZPO, § 90 SGB XII hat die Antragstellerin neben ihrem Einkommen ihr gesamtes zumutbares Vermögen einzusetzen. Wie beim Einkommen kommt auch hier grds. Nur das Vermögen der Antragstellerin selbst in Betracht (Lissner/Dietrich/Schmidt, Beratungshilfe mit Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 4. Aufl., 2022, Rn 74). Eine gesetzliche Definition von Vermögen sieht § 115 ZPO nicht vor. Durch den Verweis in Abs. 3 auf § 90 SGB XII sind die sozialrechtlichen Vorschriften entsprechend anzuwenden. Das Gericht ist hierbei jedoch nicht zwingend an die sozialrechtliche Auslegung der Begriffe gebunden (Lissner/Dietrich/Schmidt, a.a.O., Rn 74). Ein Zugriff auf das gesamte Vermögen wird jedoch nach dessen Verwertbarkeit und der Zumutbarkeit seines Einsatzes bewertet. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII schützt die hilfebedüftige Partei, in dem ihr ein sog. Schonvermögensbetrag zu belassen ist. Die hierzu erlassene Durchführungsverordnung (Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 11.2.1988 (BGBl I, 150), zuletzt geändert durch Art. 1 Verordnung v. 22.3.2017 (BGBl I, 519) und die hierin enthaltenen Regularien werden im Rahmen der Prüfung von VKH in der gerichtlichen Praxis aber als maßgeblich angesehen.
Hiernach kann die Antragstellerin gem. § 1 S. 1 Nr. 1 der genannten Durchführungs-Verordnung für sich einen "kleineren" Barbetrag i.H.v. 5.000,00 EUR beanspruchen (Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., 2022, § 115 Rn 82). In der vorliegenden Entscheidung ist jedenfalls ein Betrag i.H.v. 15.000,00 EUR, den die Antragstellerin aufgrund des Vergleichs erhalten hat bzw. der ihr zusteht, miteinzubeziehen gewesen, auch wenn der Betrag ihr möglicherweise nicht mehr aktuell zur Verfügung mehr steht.
III. Fiktive Zurechnung von Vermögen
Vorliegend hat die Antragstellerin eingewendet, dass sie ihr Vermögen aus unabweisbar lebensnotwendigen Gründen unte...