1. Keine Gegenstandsgleichheit
Der BGH irrt, soweit er eine wertende wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde legt. Die Frage, wann unter welchen Voraussetzungen angerechnet wird, ergibt sich eindeutig aus dem Gesetz.
Die hier einschlägige Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 4 VV lautet (Hervorhebung vom Autor):
Zitat
"Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 entsteht, wird diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet."
Erforderlich für eine Anrechnung ist also, dass der Angelegenheit, aus der die anzurechnende Gebühr stammt, und der Angelegenheit, in der anzurechnen ist, derselbe Gegenstand zugrunde liegt. Das bedeutet also im Fall der Vorbem. 3 Abs. 4 VV, dass der außergerichtlichen Vertretung und der gerichtlichen Vertretung derselbe Gegenstand zugrunde liegen muss.
Die entscheidende Frage war hier also, ob der Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit auch Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit war.
Der Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit ist relativ eindeutig zu bestimmen. Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit waren die 22 einzelne Geschäftsgebühren, die als materieller Schaden eingeklagt worden sind.
Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit waren unstreitig jedenfalls zunächst einmal die Sachschadenspositionen. Insoweit handelt es sich aber unstreitig um Gegenstände, die nicht mehr Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden sind.
Die entscheidende Frage, die sich nunmehr stellt, ist, ob die 22 Geschäftsgebühren auch Gegenstand der jeweiligen vorgerichtlichen Tätigkeiten waren. Da der BGH insoweit mit dem Gesetzeswortlaut nicht weiterkam, hat er die wertende wirtschaftliche Betrachtungsweise erfunden. Diese ist jedoch unzulässig und widerspricht dem Gesetz.
Die Lösung ergibt sich u.a. aus § 2 Abs. 1 RVG. Dort heißt es:
Zitat
"(1) Die Gebühren werden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat (Gegenstandswert)."
Mit anderen Worten: Der Gegenstandswert einer Geschäftsgebühr bemisst sich nach dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit. Dann kann aber die Geschäftsgebühr selbst nicht Gegenstand der Tätigkeit sein. Der BGH unterliegt hier insoweit einem Zirkelschluss. Die Geschäftsgebühr setzt einen (anderweitigen) Gegenstand voraus, aus dem sie sich berechnet, und kann nicht selbst der Gegenstand sein.
Soweit der BGH ausführt, im Rahmen der vorgerichtlichen Schadensregulierung handele es sich bei der Geschäftsgebühr um eine Nebenforderung, die nach § 4 ZPO unberücksichtigt bliebe, ist dies in mehrfacher Hinsicht falsch.
Zum einen betrifft § 4 ZPO den Zuständigkeitsstreitwert. Diese Vorschrift ist nicht – auch nicht über § 48 Abs. 1 S. 1 GKG – anzuwenden. Das GKG enthält insoweit nämlich vielmehr eine Spezialvorschrift, und zwar in § 43 Abs. 1 GKG. Danach werden Nebenforderungen dem Wert der Hauptforderung nicht hinzugerechnet, soweit sie zusammen mit der Hauptforderung geltend gemacht werden.
Bei der Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Unfallregulierung handelt es sich im Rahmen der außergerichtlichen Vertretung aber nicht um eine Nebenforderung, sondern um Kosten. Wenn man den § 43 GKG genau liest, dann wird man feststellen, dass die Kosten, die in der jeweiligen Angelegenheit entstehen, keine Nebenforderungen sind, sondern eben Kosten, die nach § 43 Abs. 3 GKG gesondert behandelt werden.
Die Vorschrift des § 43 GKG unterscheidet nämlich genau zwischen Nebenforderungen (Abs. 1) und Kosten (Abs. 3). Eine solche Unterscheidung enthält § 4 ZPO nicht, weil die Kosten niemals den Zuständigkeitsstreitwert bestimmen können, sondern allenfalls die Nebenforderungen.
Auch hieraus folgt, dass die Kosten der außergerichtlichen Regulierung nicht Gegenstand der Regulierung selbst sein können, weil es sich noch nicht einmal um Nebenforderungen handelt.
Der BGH hat hier mit seiner wertenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise letztlich nach dem Motto entschieden: Es darf nicht sein, was nicht sein soll.
Der BGH hat zudem auch verkannt, dass sich das Problem nicht nur bei der Anrechnung der Geschäftsgebühr stellt, sondern in allen Anrechnungsfällen.
Beispiel
Der Rechtsanwalt leitet für seinen Mandanten ein selbstständiges Beweisverfahren zur Feststellung von Mietmängeln ein. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt. Nach Eingang des Gutachtens werden die vom Sachverständigen festgestellten Mängel vollständig beseitigt, sodass es nicht mehr zur Hauptsacheklage über die Mängelbeseitigung kommt. Vielmehr fordert jetzt der Rechtsanwalt den Antragsgegner auf, die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens zu erstatten, was der Antragsgegner ablehnt. Daraufhin wird eine Klage auf Ersatz der im Beweisverfahren angefallenen Kosten erhoben (zur Zulässigkeit einer solchen Klage s. BGH NJW 2018, 402).
Nach der Auffassung des BGH müsste auch hier eine wertende wirtschaftliche Betrachtungsweise vorgenommen we...