Werden Verfahren, für die Teile 4 bis 6 VV Anwendung findet, miteinander verbunden, kann das Gericht die Wirkungen des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG auch auf die Verfahren erstrecken, in denen vor der Verbindung noch keine Bestellung oder Beiordnung erfolgt war (§ 48 Abs. 6 S. 3 RVG). Voraussetzung für die Anwendung dieser Regelung ist jedoch, dass der Anwalt bereits in mindestens einem Verfahren beigeordnet war. Erfolgen Beiordnung oder Bestellung erst nach der Verfahrensverbindung, so gilt § 48 Abs. 6 S. 1, 2 RVG. Diese Auffassung ist jedoch nicht unbestritten, sodass in der obergerichtlichen Rspr. auch die Ansicht vertreten wird, § 48 Abs. 6 S. 3 RVG finde unabhängig davon Anwendung, ob die Verfahrensverbindung vor oder nach der in einem der verbundenen Verfahren vorgenommenen Pflichtverteidigerbeiordnung angeordnet wird.
Das OLG Hamburg hat hierzu jüngst jedoch erneut festgestellt, dass ungeachtet der zeitlichen Reihenfolge von Verbindung und Beiordnung es wegen § 48 Abs. 6 S. 3 RVG in jedem Fall einer gerichtlichen Erstreckungsanordnung bedarf, um einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse für der Beiordnung vorausgehende Tätigkeiten als Wahlverteidiger in hinzuverbundenen Verfahren zu begründen.
Es ist deshalb dringend zu raten, frühzeitig einen Antrag auf Erstreckung zu stellen. Der Antrag kann bereits gemeinsam mit der Beiordnung beantragt und beschieden werden. Eine Erstreckungsanordnung kann noch nachträglich getroffen werden, sogar noch nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens.
Auch eine Erstreckungsanordnung nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG führt jedoch nicht zur Vergütung von fingierten Gebühren, sodass der Anwalt in den verbundenen Verfahren vor der Verbindung bereits tatsächlich tätig geworden sein muss.
Beispiel
Gegen den Angeklagten werden zwei Ermittlungsverfahren Js 1/18 und Js 2/18 geführt. Der Anwalt ist in beiden Vorverfahren tätig. Es wird wegen beider Verfahren Anklage erhoben, Ks 1/18 und Ks 2/18. In dem Verfahren Ks 1/18 wird der Anwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet. Später verbindet das Gericht beide Verfahren, unter Führung des Verfahrens Ks 1/18, und führt die Hauptverhandung durch. Das Gericht ordnet an, dass sich die Beiordnung auch auf das hinzuverbundene Verfahren erstreckt. Der Mandant hat sich nicht in Haft befunden.
Der Anwalt erhält aus der Staatskasse vergütet:
I. Vorbereitendes Verfahren (Js 1/18) |
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1. |
Grundgebühr, Nr. 4100 VV |
160,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV |
132,00 EUR |
3. |
Postpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
4. |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
59,28 EUR |
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Gesamt |
371,28 EUR |
II. Gerichtliches Verfahren (Ks 1/18) |
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1. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4106 VV |
132,00 EUR |
2. |
Terminsgebühr, Nr. 4108 VV |
220,00 EUR |
3. |
Postpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
4. |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
70,68 EUR |
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Gesamt |
442,68 EUR |
III. Vorbereitendes Verfahren (Js 2/18) |
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1. |
Grundgebühr, Nr. 4100 VV |
160,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV |
132,00 EUR |
3. |
Postpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
4. |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
59,28 EUR |
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Gesamt |
371,28 EUR |
IV. Gerichtliches Verfahren (Ks 1/18) |
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1. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4106 VV |
132,00 EUR |
2. |
Postpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
3. |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
28,88 EUR |
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Gesamt |
180,88 EUR |
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Gesamt I. bis IV. |
1.366,12 EUR |
Der Anwalt erhält aufgrund der nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG getroffenen Erstreckungsanordnung auch sämtliche Gebühren und Auslagen erstattet, die in dem hinzuverbundenen Verfahren entstanden sind.