Das Schleswig-Holsteinische LSG hat sich der Auffassung der Vorinstanz angeschlossen, das Erinnerungsrecht der beigeordneten Rechtsanwältin sei nicht verwirkt.
1. Zeit- und Umstandsmoment
Das LSG hat darauf hingewiesen, dass für eine Verwirkung des Erinnerungsrechts gem. § 56 RVG sowohl das sog. Zeitmoment als auch das sog. Umstandsmoment vorliegen müssten. Folglich genüge der Ablauf eines langen Zeitraums für sich allein genommen für die Verwirkung nicht. Vielmehr müssten zur Nichtausübung des Erinnerungsrechts über einen längeren Zeitraum stets weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen müssten. Nach Auffassung des Schleswig-Holsteinischen LSG ist Voraussetzung hierfür zunächst, dass der Verpflichtete aufgrund eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage).
2. Verhalten des Berechtigten
Das LSG hat darauf hingewiesen, dass ein solches Verwirkungsverhalten zwar regelmäßig in der vorbehaltlosen Zahlung der Vergütung durch die Staatskasse auf einen dem Festsetzungsantrag des beigeordneten Rechtsanwalts entsprechenden Festsetzungsbeschlusses gesehen werden könne. Es liege jedoch regelmäßig nicht in der bloßen (passiven) Unterlassung der zeitnahen Ausübung des Erinnerungsrechts durch den beigeordneten Rechtsanwalt bei lediglich gekürzt festgesetztem Vergütungsanspruch. Folglich habe auch im vorliegenden Fall die Staatskasse in Anwendung dieser Grundsätze allein durch den bloßen Zeitablauf keine Vertrauensgrundlage bilden können. Besonderheiten des Falles, die hier eine vom Regelfall abweichende Bewertung hätten rechtfertigen können, lagen hier nach Auffassung des LSG nicht vor.
3. Entscheidung des Bay. LSG steht nicht entgegen
Die Staatskasse hat sich nach Auffassung des Schleswig-Holsteinischen LSG auch nicht auf die Entscheidung des Bay. LSG vom 4.10.2012 (AGS 2012, 584 = NJW-Spezial 2021, 699) berufen können. Das Bay. LSG ha sich nämlich nur mit der Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse befasst, das spätestens nach einem Jahr nach dem Wirksamwerden der Festsetzungsentscheidung verwirkt sei, sofern nicht besonders missbilligenswerte Umstände in der Sphäre des Rechtsanwalts vorliegen würden. Ob dies in gleicher Weise für das Erinnerungsrecht des Rechtsanwalts gilt, hatte das Bay. LSG ausdrücklich offengelassen.