1. Praktische Auswirkungen der Entscheidung des BGH
Der Beschluss des BGH entspricht der st. höchstrichterlichen Rspr., nach der die Aufhebung oder Abänderung einer vorangegangenen rechtskräftigen Kostenentscheidung in einer Kostenregelung in einem Vergleich dem Vergleichstext regelmäßig eindeutig entnommen werden muss. Enthält der Prozessvergleich keine entsprechende ausdrückliche Regelung der Parteien hinsichtlich der rechtskräftigen Kostenentscheidung, ist davon auszugehen, dass der Vergleich diese Kostenentscheidung eben nicht abändern oder gar aufheben wollte.
Im Fall des BGH hat dies zur Folge, dass es hinsichtlich der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens bei dem Kostenfestsetzungsbeschl. v. 11.3.2020 verbleibt, wonach der Antragsteller an den Antragsgegner 6.663,30 EUR zu erstatten hat. Die Kostenregelung im Vergleich vom 12.2.2020, wonach der Antragsteller 9/10 und der Antragsgegner 1/10 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, erfasst dann nur noch die übrigen Kosten des Rechtsstreits.
2. Verfahrensweise der Prozessbevollmächtigten
Die Prozessbevollmächtigten haben in der Regel "alle Hände voll zu tun", einen Vergleich über die Hauptsache zu erzielen. Bei so manchem Rechtsanwalt schwindet dann die Aufmerksamkeit, wenn es bei den Vergleichsverhandlungen um Nebenregelungen wie insbesondere die Kosten geht. Dabei zeigt auch der Fall des BGH hier, wie wichtig es ist, die Kostenregelungen in einem Vergleich auf die entsprechende Fallgestaltung abzustellen. Der Prozessbevollmächtigte des Antragsgegners hatte hier naturgemäß kein Interesse daran, die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens bei den Vergleichsverhandlungen auch nur anzusprechen. Denn zu seinen Gunsten war ja im selbstständigen Beweisverfahren der Kostenbeschl. v. 5.8.2019 ergangen, aufgrund dessen er den Kostenfestsetzungsbeschl. v. 11.3.2020 erwirkt hatte.
Folglich hatte hier allein der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers ein Interesse daran, auch die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens in die Vergleichsverhandlungen mit einzubeziehen. Ob solche Verhandlungen überhaupt Aussicht auf Erfolg hätten, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Große Erfolgsaussichten hätten derartige Vergleichsverhandlungen wohl nicht, da der Antragsteller keine besonders gute Position hatte, was sich aus dem von ihm übernommenen Anteil von 9/10 der Kosten des Rechtsstreits folgern lässt.
Vielen Rechtsanwälten ist jedoch die Rspr. des BGH nicht bekannt, dass die Parteien in einem Prozessvergleich zwar eine vorher ergangene Kostenentscheidung, auch wenn sie rechtskräftig geworden ist, abändern können, dies sich jedoch eindeutig dem Wortlaut des Vergleichs entnehmen lassen muss. Deshalb werden in den Vergleichsgesprächen häufig noch nicht einmal Ansätze gemacht, über die bereits rechtskräftig entschiedenen Kosten zu verhandeln. Hat eine Partei bei den Vergleichsverhandlungen eine starke Position, sollten derartige Verhandlungen zumindest versucht werden. Der Prozessbevollmächtigte der Partei, zu deren Gunsten die rechtskräftig gewordene Kostenentscheidung ergangen ist – das war hier der Antragsgegner – wird diese Kostenposition in den Vergleichsgesprächen natürlich nicht ansprechen.
3. Formulierungsvorschlag
Wenn die Parteien die Kostenentscheidung in dem Beschl. v. 5.8.2019 vergleichsweise hätten abändern bzw. aufheben wollen, hätten sie etwa folgende Formulierung in den Vergleich aufnehmen müssen:
Zitat
"Von den Kosten des Rechtsstreits, des vorangegangenen selbstständigen Beweisverfahrens – LG Kempten 21 OH 2005/15 – und dieses Vergleichs übernehmen der Antragsteller 9/10 und der Antragsgegner 1/10. Mit dieser Kostenregelung wird der Kostenbeschluss des LG Kempten vom 5.8.2019 abgeändert."
Mit einer solchen Vereinbarung hätten die Parteien des Rechtsstreits mit bindender Wirkung für das Kostenfestsetzungsverfahren geregelt, dass auch die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens der vereinbarten Kostenquote unterliegen und damit der rechtskräftige Kostenbeschl. des LG Kempten v. 5.8.2019 abgeändert worden ist. Nur in einem solchen Fall wäre der auf der Grundlage des Kostenbeschl. v. 5.8.2019 ergangene Kostenfestsetzungsbeschl. v. 11.3.2020 gegenstandslos geworden. Auf Antrag der Parteien hätte deshalb der Rechtspfleger die gesamten Kosten des Hauptsacheverfahrens einschließlich des Vergleichs und des vorangegangenen selbstständigen Beweisverfahrens entsprechend der Kostenquote ausgleichen können. Da hier die Parteien in dem gerichtlichen Vergleich eine solche ausdrückliche Regelung über die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens nicht getroffen hatten, war somit der Kostenbeschl. v. 5.8.2019 nach wie vor wirksam.
VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin
AGS 2/2022, S. 78 - 81