StVG § 24; StPO § 140 Abs. 2
Leitsatz
Bei geringfügigen Verkehrsverstößen ist eine Verteidigung dann notwendig, sofern – neben der unmittelbaren deliktsbezogenen Straferwartung – auch sonstige schwerwiegende Nachteile vom Angeklagten infolge der Verurteilung zu befürchten sind (hier: bejaht für einen Berufskraftfahrer, der bei Verurteilung 18 Punkte erreichen würde und den Verlust seines Arbeitsplatzes befürchten müsste).
LG Mainz, Beschl. v. 6.4.2009–1 Qs 49/09
Sachverhalt
In dem Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Nichteinhaltens des Mindestabstandes von einem vorausfahrenden Fahrzeug nach §§ 4 Abs. 2, 48 StVO, 24 StVG, 15 BKat hatte der Betroffene den Antrag gestellt, ihm gem. § 140 Abs. 2 StPO Rechtsanwalt F. als Pflichtverteidiger beizuordnen. Zur Begründung führte er an, die zu befürchtenden Rechtsfolgen einer etwaigen Verurteilung, namentlich die Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 46 Abs. 1 FeV, seien derart gravierend, dass die Verteidigung notwendig geworden sei. Das AG hat den Antrag abgelehnt. Das Gericht begründete dies damit, dass allein die Tatsache, dass der Betroffene im Verkehrszentralregister bereits eine kritisch hohe Punktezahl erreicht habe, die bei einem Verstoß gegen Straßenverkehrsvorschriften die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge habe, noch nicht die Bestellung eines Pflichtverteidigers gebiete.
Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Er trägt vor, für ihn seien im Verkehrszentralregister 16 Punkte eingetragen. Im Fall einer Verurteilung in dem Ordnungswidrigkeitsverfahren kämen drei weitere Punkte hinzu, sodass die Verwaltungsbehörde ihm die Fahrerlaubnis entziehen werde. Da ihm als Berufskraftfahrer in diesem Fall das Arbeitsverhältnis gekündigt werde und die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass er, bei einem Alter von 61 Jahren, bis zum Erreichen des Rentenalters die Fahrerlaubnis und damit eine Neuanstellung wiedererlangen werde, sehr gering sei, käme die Fahrerlaubnisentziehung faktisch einem Berufsverbot gleich, sodass ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege.
Die Beschwerde hatte Erfolg.
Aus den Gründen
Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 S. 1 StPO vor.
Gem. § 140 Abs. 2 StPO bedarf es der Bestellung eines Verteidigers u.a. dann, wenn dessen Mitwirkung wegen der Schwere der Tat geboten erscheint. Bei der Beurteilung der Tatschwere im Einzelfall sind jedoch neben der unmittelbaren deliktsbezogenen Straferwartung auch sonstige schwerwiegende Nachteile in Rechnung zu stellen, die der Angeklagte infolge der Verurteilung zu befürchten hat (vgl. OLG Düsseldorf, 2. Strafsenat, Beschl. v. 11.9.1998–2 Ws 496/98, OLGSt StPO § 140 Nr. 20). Anders als in den üblichen Fällen einfach gelagerter Verkehrsordnungswidrigkeiten war hinsichtlich der Schwere der Tat die für den Betroffenen mittelbar drohende Folge des Führerscheinentzugs durch die Fahrerlaubnisbehörde in die Beurteilung einzubeziehen. Eine solche steht einer weiteren Beschäftigung als Berufskraftfahrer entgegen, so dass mit einer Kündigung des derzeitigen Beschäftigungsverhältnisses zu rechnen ist. Angesichts des Alters des Angeklagten erscheint eine anderweitige Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls unwahrscheinlich. Aus diesen Gründen war ausnahmsweise in Ordnungswidrigkeitenverfahren mit der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO der Beschluss des AG aufzuheben und für den Betroffenen der erwählte Verteidiger als Pflichtverteidiger beizuordnen.