ZPO § 91; BGB §§ 249, 254; EGRDG § 4 Abs. 4; RVG § 15a Abs. 1; RVG VV Nr. 2300, Vorbem. 3 Abs. 4
Leitsatz
Beauftragt ein Gläubiger zunächst ein Inkassounternehmen mit der außergerichtlichen Beitreibung einer Forderung und anschließend einen Anwalt mit dem gerichtlichen Verfahren, so ist die anwaltliche Verfahrensgebühr in voller Höhe erstattungsfähig. Eine Anrechnung der Inkassokosten findet auch unter erstattungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht statt.
AG Leipzig, Beschl. v. 7.1.2020 – 108 C 2014/19
1 Sachverhalt
Der Kläger hatte wegen einer Geldforderung zunächst eine nach § 10 Abs. 1 RDG registrierte Person (Inkassounternehmen) mit der außergerichtlichen Beitreibung einer Forderung beauftragt. Hierfür stellte diese eine Vergütung in Höhe einer vergleichbaren anwaltlichen 1,3-Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV) in Rechnung und machte diese Gebühr als Schadensersatz beim Beklagten geltend. Da der Beklagte nicht zahlte, beantragte das Inkassounternehmen für den Kläger einen Mahnbescheid und anschließend einen Vollstreckungsbescheid über die Hauptforderung sowie die vorgerichtlichen Kosten. Nach Einspruch beauftragte der Kläger dann eine Anwaltskanzlei mit der Vertretung im streitigen Verfahren. Hiernach zahlte der Beklagte die Hauptforderung nebst Zinsen und vorgerichtlicher Kosten, so dass die Hauptsache für erledigt erklärt wurde und die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten auf dessen Übernahmeerklärung hin auferlegt wurden. Im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren beantragte der Gläubiger sodann die Festsetzung seiner Kosten, darunter auch einer ungekürzten 1,3-Verfahrensgebühr. Der Schuldner war der Auffassung, die titulierte Gebühr des Inkassounternehmens müsse nach § 15a Abs. 2 RVG i.V.m. Vorbem. 3 Abs. 4 VV auf die anwaltliche Verfahrensgebühr angerechnet werden. Das AG hat dem Kostenfestsetzungsantrag stattgegeben.
2 Aus den Gründen
Dem Antrag ist vollumfänglich stattzugeben. Der Beklagtenvertreter wendet sich gegen die vollumfängliche Festsetzung der 1,3-Verfahrensgebühr und trägt vor, dass lediglich eine 0,65-Verfahrensgbühr erstattungsfähig ist, da die bereits vorgerichtlich geltend gemachten und schlussendlich von der Beklagtenseite bezahlten Inkassokosten (in Anlehnung an das RVG, § 4 Abs. 4 RDGEG) anzurechnen wären aufgrund der Pflicht des Gläubigers zur Schadensminderung (§ 286 BGB). Weitergehende Kosten wären nicht notwendig i.S.d. § 91 ZPO, da der Schuldner bei Beauftragung eines Inkassounternehmens vorgerichtlich und sodann Beauftragung eines Rechtsanwalts im streitigen Verfahren kostenmäßig schlechter gestellt sei als bei Beauftragung eines Rechtsanwaltes gleich von Anbeginn. Dem kann nicht gefolgt werden. Werden in einem Urteil dem anwaltlich vertretenen Gläubiger vorgerichtliche Inkassokosten zugesprochen, kommt eine Anrechnung auf die im Erkenntnisverfahren angefallene Verfahrensgebühr nicht in Betracht (OLG Koblenz, Beschl. v. 6.1.2012 – 14 W 15/12). Eine Anrechnung kommt nur in Betracht, wenn die Geschäfts- und Verfahrensgebühr bei demselben Anwalt bzw. derselben Anwaltssozietät entstanden sind (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., Vorbem. 3 VV, Rn 190).
Ob und in welcher Höhe zusätzlich zu den Anwaltskosten vorgerichtliche Inkassokosten zu erstatten sind, ist als materiell-rechtliche Frage im Hauptsacheverfahren zu entscheiden. Ein Verstoß des Gläubigers gegen die Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB kommt nur in Betracht, wenn schon bei Beauftragung des Inkassounternehmens absehbar war, dass es zum streitigen Verfahren kommt. Hat der Schuldner erst nach der Beauftragung erhebliche und streitige Einwendungen erhoben, liegt kein solcher Verstoß vor.
Das Gesetz sieht keine Anrechnung von außergerichtlich entstandenen Inkassokosten auf die im Verfahren entstandenen anwaltlichen Kosten vor. Ob zusätzlich zu den Anwaltskosten vorgerichtliche Inkassokosten als Schadenersatz zu leisten sind, ist eine materiell-rechtliche Frage, die das Gericht zugunsten des Gläubigers für das Kostenfestsetzungsverfahren bindend zu entscheiden hat.
Hier war es nach Vortrag des Klägervertreters bei Beauftragung des Inkassounternehmens nicht absehbar, dass es zu einem streitigen Verfahren kommen muss. Es gab zwar E-Mails vom Beklagten (Mitarbeiter) im November 2018. In diesen wurde die Forderung jedoch nicht bestritten, so dass bei Beauftragung des Inkassounternehmens im Februar 2019 nicht mit einer streitigen Auseinandersetzung gerechnet werden musste.
Eine Anrechnung hat mithin nicht zu erfolgen. Es liegt keine gesetzliche Anrechnungsvorschrift hierfür vor.
Mitgeteilt von Rechtsfachwirt Harald Minisini, Allershausen
3 Hinweis der Schriftleitung
Siehe hierzu den Beitrag von Minisini (S. 108 ff. in diesem Heft).
AGS 3/2020, S. 154 - 155