Nr. 1003 VV RVG; § 1666 BGB
Leitsatz
Auch in Verfahren nach § 1666 BGB kann den beteiligten Anwälten eine Einigungsgebühr entstehen.
OLG Hamburg, Beschl. v. 1.7.2021 – 2 WF 46/21
I. Sachverhalt
In einem Hauptsacheverfahren nach § 1666 BGB war der Beschwerdegegner der beteiligten Kindesmutter im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe beigeordnet worden. Anlass des Verfahrens war, dass Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Mutter aufgrund Drogenkonsums bestanden. Im Rahmen einer anberaumten gerichtlichen Anhörung verständigten sich die Beteiligten darauf, dass die Mutter auf Aufforderung zweimal eine Blut- und Urinprobe abgeben werde. Das Gericht stellte daraufhin das Verfahren ein, weil im Hinblick auf die abgegebenen Erklärungen keine Maßnahmen nach § 1666 BGB mehr erforderlich seien. Hiernach beantragte der Beschwerdegegner die Festsetzung sowohl einer 1,3-Verfahrensgebühr als auch einer 1,2-Terminsgebühr und einer 1,0-Einigungsgebühr aus der Landeskasse. Die Urkundsbeamtin setzte die angemeldete Einigungsgebühr mit der Begründung ab, dass in den als Amtsverfahren zu führenden Verfahren nach § 1666 BGB eine Einigungsgebühr nicht entstehen könne, weil der Verfahrensgegenstand der Verfügungsbefugnis der Beteiligten entzogen sei. Auf die hiergegen erhobene Erinnerung setzte die Urkundsbeamtin schließlich doch die Einigungsgebühr fest. Zur Begründung führte sie nunmehr aus, dass die Gebührenvorschrift der Anm. Abs. 2 zu Nr. 1003 VV allgemein auf Kindschaftssachen abstelle und gerade nicht danach differenziere, ob das Verfahren der Verfügungsbefugnis der Beteiligten unterliege. Hiergegen wiederum hat die Landeskasse Erinnerung erhoben, die der Familienrichter zurückgewiesen hat. Dagegen wendet sich wiederum die Landeskasse mit der Beschwerde, der das FamG nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt hat. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Gericht bejaht Einigungsgebühr
Das FamG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung auch die Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1003 VV festgesetzt. Gem. Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 zu Nr. 1000 VV entsteht die Einigungsgebühr für die Mitwirkung bei Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Dies spricht im Ausgangspunkt zwar dafür, dass die Einigungsgebühr einen Gegenstand betreffen muss, der der Verfügungsbefugnis der Beteiligten unterliegt.
In Anm. Abs. 5 S. 2 zu Nr. 1000 VV lautet es in Bezug auf Kindschaftsverfahren aber ergänzend:
Zitat
"In Kindschaftssachen ist Abs. 1 Satz 1 und 2 auch für die Mitwirkung an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, entsprechend anzuwenden."
Weiter lautet es in Anm. Abs. 2 zu Nr. 1003 VV:
Zitat
"In Kindschaftssachen entsteht die Gebühr auch für die Mitwirkung am Abschluss eines gerichtlich gebilligten Vergleichs (§ 156 Abs. 2 FamFG) und an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder wenn die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt."
Der Wortlaut dieser beiden ergänzenden Regelungen spricht aber ganz maßgeblich dafür, dass im Bereich der hier verfahrensgegenständlichen Kindschaftssachen die Verfügungsbefugnis über den Verfahrensgegenstand unerheblich ist. Dies entspricht auch dem Willen des historischen Gesetzgebers. Sowohl Anm. Abs. 5 S. 2 zu Nr. 1000 VV als auch Anm. Abs. 2 zu Nr. 1003 VV sind erst zum 1.9.2009 neu in das RVG aufgenommen worden. Zur Begründung der Neuregelung hat der Gesetzgeber ausgeführt (BT-Drucks 16/6308, 341), dass mit dem neuen Abs. 5 S. 2 nunmehr im Gesetz ausdrücklich zum Ausdruck gebracht werden solle, dass die Einigungsgebühr in Kindschaftssachen auch dann entstehen könne, wenn die Beteiligten nicht vertraglich über den Gegenstand der Einigung verfügen könnten. Damit sollte die besondere Bedeutung der Streit vermeidenden Einigung gerade in Kindschaftssachen hervorgehoben werden. Für das Entstehen der Einigungsgebühr kommt es daher im Bereich der Kindschaftssachen seit dem 1.9.2009 nicht mehr darauf an, ob die Beteiligten über den Verfahrensgegenstand verfügen könnten oder nicht. Entscheidend ist allein, ob durch die getroffene Vereinbarung die gerichtliche Entscheidung entbehrlich geworden ist oder die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt (so auch OLG Karlsruhe NJW 2019, 2948 = AGS 2019, 453). Der insoweit gegenteiligen Auffassung (vgl. OLG Stuttgart MDR 2011, 698 = AGS 2011, 276 = Rpfleger 2011, 463 = FamRZ 2011, 1814 = RVGreport 2011, 225; OLG Koblenz, Beschl. v. 10.10.2014 – 7 WF 859/14; OLG Brandenburg NZFam 2019, 594 = AGS 2019, 268) ist nicht zu folgen. Sie stellt argumentativ letztlich im Kern weiterhin darauf ab, dass den Beteiligten die Verfügung über den Verfahrensgegenstand entzogen sei. Hierauf kommt es aber nach der aktuellen Gesetzesfassung nicht mehr an. Entscheidend ist, dass die Vereinbarung eine gerichtliche Entscheidung entweder entbehrlich macht oder die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt. Derartige Konstellationen si...