Vorbem. 8 GKG KV
Leitsatz
Auch ein nach Verkündung des Urteils abgeschlossener Vergleich führt im erstinstanzlichen arbeitsgerichtlichen Erkenntnisverfahren zum Wegfall der gerichtlichen Verfahrensgebühr, solange das Verfahren weder rechtskräftig abgeschlossen noch ein Rechtsmittel eingelegt ist.
LAG Nürnberg, Beschl. v. 3.6.2022 – 8 Ta 33/22
I. Sachverhalt
Das ArbG hatte durch Endurteil der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Nach Verkündung des Urteils hatten die Parteivertreter außergerichtliche Vergleichsverhandlungen aufgenommen und noch vor Eintritt der Rechtskraft einen den Rechtsstreit vollumfänglich – einschließlich der Kosten – erledigenden Vergleich geschlossen, dessen Zustandekommen daraufhin vom ArbG gem. § 278 Abs. 6 ZPO durch Beschluss festgestellt wurde. Die Urkundsbeamtin des ArbG hat das Verfahren als gebührenfrei behandelt. Dagegen hat der Bezirksrevisor Erinnerung eingelegt. Er vertritt die Auffassung, dass bei der vorliegenden Konstellation die Verfahrensgebühr nicht entfallen sei, sondern sich lediglich gem. Nr. 8211 GKG KV. auf 0,4 ermäßigt habe. Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung nicht ab und legte sie dem Kammervorsitzenden vor, der sie zurückwies. Die dagegen erhobene Beschwerde des Bezirksrevisors hatte keinen Erfolg.
II. Privilegierung ist streitig
Es ist streitig, ob ein nach Verkündung eines Urteils abgeschlossener Vergleich die gebührenrechtliche Privilegierung nach der Vorbem. 8 GKG KV herbeiführt.
1. Kein Wegfall mehr möglich
Nach einer Auffassung soll der Abschluss eines Vergleiches nach Verkündung eines Urteils keine gebührenrechtlichen Auswirkungen mehr haben. Nach dieser Ansicht müsse der gerichtliche Vergleich vor Verkündung der die Instanz beendenden Entscheidung geschlossen sein. Zwar können die Parteien den Rechtsstreit bis zur Rechtskraft der Entscheidung noch durch Vergleich beenden, doch ziele die – nach dieser Ansicht – gesetzgeberische Intention der kostenmäßigen Vergleichsprivilegierung auf eine in diesen Fällen nicht mehr erreichbare Entlastung der Gerichte. Der kostenrechtlich maßgebende Zeitpunkt der Instanzbeendigung trete mit der Verkündung des Urteils ein, sodass ein danach abgeschlossener Vergleich nicht mehr zu einer Beendigung des Verfahrens führen könne (so LAG Berlin, Urt. v. 8.7.1991 – 2 Sa 18/90; LAG Köln, Beschl. v. 21.8.1985 – 8 Ta 136/85; LAG Frankfurt, Beschl. v. 31.8.2011 – 13 Ta 350/11).
Das LAG Frankfurt führt in seinem Beschl. v. 31.8.2011 (13 Ta 350/11) zur Begründung aus, dass die Verfahrensgebühr nicht entfallen könne, wenn die Parteien den Vergleich erst nach Zustellung des arbeitsgerichtlichen Urteils während des Laufs der Berufungsfrist zwischen den Instanzen geschlossen hätten. In diesem Zeitraum sei der Abschluss eines Vergleichs zwar möglich, häufig sogar geboten; eine kostenrechtliche Privilegierung nach Vorbem. 8 GKG KV könne er aber nicht mehr erfahren. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut und Sinn der Vorbem. 8 GKG KV. Kostenrechtlich sei die Instanz mit Verkündung des Urteils beendet, nicht erst mit Zustellung des Urteils oder dessen Rechtskraft. Dies folge aus § 6 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Danach seien Gebühren und Auslagen fällig, wenn eine unbedingte Entscheidung über die Kosten ergangen sei. Eine Zustellung des Urteils oder gar dessen Rechtskraft seien nicht nötig. Die Vorbem. 8 GKG-KV solle den Abschluss eines Vergleiches kostenrechtlich privilegieren, wenn dem Gericht dadurch Arbeit erspart werde. Dies sei nach der Verkündung und Abfassung des Urteils nicht mehr der Fall. Alle für das Gericht in Betracht kommenden Tätigkeiten seien dann bereits erbracht. Die in Nr. 8211 GKG KV geregelte Gebührenermäßigung auf 0,4 komme zwar nur in Betracht, wenn zuvor kein Urteil ergangen sei. Daraus folge aber nicht, dass umgekehrt bei Wegfall der Gebühr nach einem Vergleich gem. Vorbem. 8 GKG KV ein Urteil vorausgegangen sein dürfe. Dieser Umkehrschluss sei nicht zwingend und berücksichtige nicht die ratio der Vorbem. 8 GKG KV.
2. Auch nach Urteil noch Wegfall möglich
Nach a.A. (LAG Stuttgart, Beschl. v. 31.5.2001 – 4 Ta 29/01; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 5.2.2020 – 13 Ta 96/19; LAG Hamm, Beschl. v. 7.12.2010 – 6 Ta 486/10) führt auch ein nach Verkündung des Urteils geschlossener Vergleich, soweit das Verfahren noch beim ArbG schwebt, also weder rechtskräftig abgeschlossen ist noch ein Rechtsmittel eingelegt ist, zur Kostenprivilegierung.
3. Das LAG Nürnberg folgt der zweiten Ansicht
Die Gesetzgeber wollten mit der Reform im Jahr 2004 das Gebührenniveau in arbeitsgerichtlichen Verfahren unter dem der Verfahren der ordentlichen Gerichte halten, die Prozessparteien sollten aber stärker an den Kosten des Verfahrens beteiligt werden (BT-Drucks 15/1971, 175). Die Struktur für die arbeitsgerichtlichen Verfahren in Bezug auf die Gebührentatbestände und die Gebührenhöhe sollten sich aber weiterhin von denen des Zivilprozesses unterscheiden. Jede Form der Verständigung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber soll auch weiterhin gefördert werden. Das Kostenrecht ist zwingendes öffentliches Abgabenrecht...