ZPO § 91 Abs. 2 S. 1; RVG § 15a; BGB §§ 133, 157
Leitsatz
- Ersatzfähig sind unter den üblichen Voraussetzungen auch die Reisekosten eines Anwalts, der im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist.
- § 15a Abs. 2 RVG ist für Prozessvergleiche, die vor seinem Inkrafttreten geschlossen sind, regelmäßig ohne Bedeutung.
- Ein Vergleich, der vor dem Inkrafttreten des § 15a RVG geschlossen wurde und der eine Vereinbarung zur Kostenerstattung enthält ist nach §§ 133, 157 BGB grundsätzlich dahingehend auszulegen, dass die Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr berücksichtigt werden soll.
OLG Dresden, Beschl. v. 24.2.2010–3 W 196/10
Sachverhalt
Nach dem mit einer "umfassenden" Abgeltungsklausel versehenen Prozessvergleich, der den Streit über Ansprüche aus einem klägerseits behaupteten und der Beklagten wegen Verletzung ihrer Streupflicht angelasteten Unfall beendete, trägt die Klägerin 7/12, die Beklagte 5/12 der Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen. Die Klägerin wohnt in G, knapp 60 km von Dresden entfernt. Ihr Prozessbevollmächtigter ist in R niedergelassen. R gehört zum Bezirk des LG Dresden, das erstinstanzlich mit der Klage befasst war, und ist etwa 45 km von Dresden entfernt.
Die klägerischen Prozessbevollmächtigten waren bereits vorgerichtlich zum Gegenstand der Klage tätig. Die Klägerin hat daher, nach Abschluss der ersten Instanz, nur die Kosten einer ermäßigten Verfahrensgebühr zur Festsetzung angemeldet, nach Abschluss des Vergleichs hieran festgehalten und erst nach einem Hinweis der Rechtspflegerin auf § 15a RVG erklärt, eine Anrechnung der Geschäftsgebühr sei nicht mehr vorzunehmen.
Im anschließenden Beschluss der Rechtspflegerin sind 132,62 EUR zugunsten der Klägerin festgesetzt, unter Einbeziehung der Kosten einer "vollen" Verfahrensgebühr und anwaltlicher Reisekosten auf Klägerseite. Das hält die Beklagte für falsch, stellt daher den Kostenfestsetzungsbeschluss im Wege der Beschwerde zur Überprüfung durch das OLG. Auf Klägerseite seien die anwaltlichen Reisekosten nach der (auch hier) geltenden Fassung des § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO zu streichen. Zur Verfahrensgebühr dürfe nur mit einem Gebührensatz von 0,65 gerechnet werden, weil vom Gesetz so vorgegeben, ohne dass der nun eingefügte § 15a RVG etwas ändere. Denn dieser erfasse, wie vom X. Zivilsenat des BGH erst jüngst entschieden, den Streitfall nicht.
Aus den Gründen
Die Beschwerde hat nur teils Erfolg. Ihr Einwand zu den Reisekosten ist grundlos. Zur anwaltlichen Verfahrensgebühr auf Klägerseite ist hingegen in der Tat nur mit 0,65 zu rechnen.
1. Reisekosten
Aus § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO folgt nicht, dass Reisekosten eines Anwalts, der im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist, die Ersatzfähigkeit abzusprechen wäre. Beim Wort genommen gibt er vielmehr Gegenteiliges vor. Reisekosten eines solchen Anwalts sind, sofern angefallen, stets zu erstatten, also unabhängig von der Notwendigkeit seiner Zuziehung. Ob dem so ist, kann offen bleiben. Da die Klägerin in G wohnt, war die Einschaltung eines in R niedergelassenen Rechtsanwaltes eine Maßnahme notwendiger Rechtsverfolgung i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO, zumal R nur knapp 20 km von G entfernt und näher an den Dresdner Prozessgerichten gelegen ist (st. Rspr. des BGH, grundlegend Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02 [= AGS 2003, 97]; zum Anwalt am dritten Ort vgl. etwa BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – I ZB 21/03).
Den Anfall und die Höhe der Reisekosten beanstandet die Beklagte nicht. Dafür gibt es auch keinen Anlass (Nrn. 7003, 7005 Nr. 1, Vorbem. 7 Abs. 2 VV). Im Übrigen spart die Beklagte bei ihren Überlegungen aus, dass der seinerzeitige § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO zum 1.7.2004 (ersatzlos) gestrichen wurde, dies mit der Erwägung, auch die Reisekosten eines im Bezirk, aber nicht am Ort des Prozessgerichts sitzenden Rechtsanwaltes müssten ersatzfähig sein (BT-Drucks 15/1971 S. 296). Anhaltspunkte dafür, der Gesetzgeber habe dies nur knapp drei Jahre später, also mit der Neufassung des § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO durch das Rechtsanwalt-SelbstverwaltungsstärkungsG, wieder ändern wollen, fehlen.
2. Kosten der Verfahrensgebühr
Insofern bemerkt die Beklagte mit Grund, dass sie mit dem Prozessvergleich nur die (anteiligen) Kosten einer ermäßigten Verfahrensgebühr übernommen hat. Dies folgt bereits aus dessen Kostenabsprache, also der dortigen Nr. II.
Die Beklagte bringt, jedenfalls sinngemäß und unwidersprochen, nach dem klägerischen Festsetzungsgesuch im Übrigen glaubhaft vor, sie sei vom Anfall einer Geschäftsgebühr zum Gegenstand der Klage und so davon ausgegangen, nur die Kosten einer ermäßigten Verfahrensgebühr (anteilig) ersetzen zu müssen. Dergleichen durfte sie annehmen (§§ 133, 157 BGB). Bei Abschluss des Vergleichs, am 10.6.2009, entsprach es gefestigter Rspr. des BGH, dass, liegen die Voraussetzungen nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV vor, nur die Kosten der ermäßigten Verfahrensgebühr zu denen des Rechtsstreits zählen. Folglich kann eine Vereinbarung, die sich auf die (anteilige) Übernahme der Kosten des Rechtsstreits beschränkt, auch n...