Die dagegen vorgebrachten Argumente können das OLG nicht zu überzeugen. Der Angeklagte möge ein anzuerkennendes Interesse daran haben, über den weiteren Verfahrensgang bei Berufungseinlegung durch die Staatsanwaltschaft informiert zu werden. Vor Zustellung des Urteils und Begründung der Berufung beschränke sich das Interesse aber auf ein subjektives Beratungsbedürfnis. Objektiv sei eine solche Beratung vor der Begründung des Rechtsmittels weder erforderlich noch sinnvoll. Vor der Rechtsmittelbegründung könne eine Beratung nur über potentielle und hypothetische Angriffsziele des Rechtsmittels erfolgen; eine Verteidigungsstrategie könne allenfalls theoretisch entworfen werden. Erst wenn feststehe, dass die Staatsanwaltschaft das von ihr eingelegte Rechtsmittel nach näherer Prüfung der Erfolgsaussichten überhaupt weiterverfolge und anhand der Rechtsmittelbegründung die Zielrichtung und der Umfang des Rechtsmittels erkennbar sind, könne ein verständiger Verteidiger den Mandanten einzelfallbezogen und sachgerecht beraten.
Im Unterschied zum Revisionsverfahren sei zwar gem. § 317 StPO eine Begründung der Berufung nicht zwingend vorgeschrieben. Auch fehle eine § 344 StPO entsprechende Vorschrift für das Berufungsverfahren. Dies rechtfertige jedoch keine unterschiedliche gebührenrechtliche Behandlung der Rechtsmittel. Denn nach Nr. 156 Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) müsse die Staatsanwaltschaft jedes von ihr eingelegte Rechtsmittel begründen. Die Einlegung und die Rechtfertigung der Berufung sei von der Staatsanwaltschaft gem. § 320 S. 2 StPO zuzustellen. Eine Missachtung dieser Vorschrift berechtige den Angeklagten, die Aussetzung des Verfahrens zu verlangen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., 2020, § 320 Rn 2 m.w.N.). Der Verteidiger könne deshalb davon ausgehen, dass die Berufung der Staatsanwaltschaft innerhalb der Frist des § 317 StPO von ihr auch begründet werde, wenn keine Berufungsrücknahme erfolge.
Der Einwand, ein Angeklagter dürfe darauf vertrauen, dass ein von der Staatsanwaltschaft eingelegtes Rechtsmittel auch durchgeführt werde, greife schon deshalb zu kurz, weil die Staatsanwaltschaft gem. Nr. 148 Abs. 1 RiStBV zur Einlegung vorsorglicher Rechtsmittel berechtigt sei. Die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels ließen sich oft erst nach Überprüfung der schriftlichen Urteilsgründe hinreichend bewerten. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung würden durch Übersendung des schriftlichen Urteils in die Lage versetzt, zu prüfen, ob ein gegenüber dem Antrag abweichender Schuldspruch oder ein anderes Strafmaß in den Urteilsgründen tragfähig oder angreifbar begründet wurde. Auch sei es dem Angeklagten kostenneutral möglich, ebenso vorsorglich Berufung einzulegen und die schriftlichen Urteilsgründe abzuwarten. Nach Nr. 3121 KV GKG der Anlage I zu § 3 Abs. 2 GKG entfalle die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren, wenn der Angeklagte noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist die Berufung wieder zurücknehme. Die Einlegung der Berufung sei gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG noch mit der Gebühr für die Vorinstanz abgegolten. Dies gelte für den kurzen Hinweis auf die Rechtslage und den weiteren Verfahrensgang ebenso wie für die Beratung über die Aussichten eines Rechtsmittels oder die vorsorgliche Beratung hinsichtlich eines vom Gegner noch nicht eingelegten Rechtsmittels (Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, a.a.O., § 19 Rn 123). Grds. sei dem Angeklagten ein Zuwarten auf die Rechtsmittelbegründung zumutbar, um sodann mit seinem Verteidiger die notwendigen Maßnahmen zur Verfolgung seiner Interessen zu ergreifen. Rechtsstaatliche Interessen des Angeklagten werden hierdurch nicht beeinträchtigt.