§ 32 Abs. 1 RVG; Nr. 3104 VV RVG; § 68 Abs. 3 GKG
Leitsatz
- Der für die Gerichtsgebühren festgesetzte Wert ist für die Gebühren des Rechtsanwalts nach § 32 Abs. 1 RVG nur maßgebend, soweit der Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit mit dem der anwaltlichen Tätigkeit identisch ist.
- Wird die Klage vor der mündlichen Verhandlung teilweise zurückgenommen, so berechnet sich die Terminsgebühr gem. Nr. 3104 VV jedenfalls dann nicht nach dem ursprünglichen Wert, sondern nach dem verbleibenden Gegenstand der Klage, wenn die Rücknahme vor dem Aufruf der Sache wirksam geworden ist und dem Gericht bei der Verhandlung bekannt war.
- Für eine statthafte, aber aus anderen Gründen unzulässigen Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts gilt die Gebührenfreiheit nach § 68 Abs. 3 GKG.
OLG Celle, Beschl. v. 23.2.2023 – 24 W 2/23
I. Sachverhalt
Die vormalige Klägerin hatte die Beklagte als Motorenherstellerin wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Vor dem LG Hannover hatte sie verschiedene Schadenspositionen geltend gemacht und den Streitwert vorläufig auf 14.298,01 EUR geschätzt. Mit Schriftsatz vom 31.5.2022 hat die vormalige Klägerin ihre Anträge geändert und nunmehr den Streitwert mit 16.452,83 EUR angegeben.
Nach einem Parteiwechsel auf Klägerseite hat der jetzige Kläger mit Schriftsatz vom 8.11.2022, der beim LG Hannover am selben Tage um 8:38 Uhr eingegangen war, die Anträge erneut geändert. Er hat nunmehr beantragt, die Beklagte zu verurteilen, einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz i.H.v. mindestens 15 % des Kaufpreises von 28.600,00 EUR, somit i.H.v. mindestens 4.290,00 EUR, und einen weiteren Betrag von mindestens 15 % der Finanzierungskosten von 8.043,83 EUR sowie außergerichtliche Anwaltskosten jeweils nebst Zinsen zu zahlen. Der Klägervertreter hat diesen geänderten Antrag in der mündlichen Verhandlung vom 8.11.2022 gestellt. Das LG Hannover hat die Klage durch Urt. v. 20.12.2022 abgewiesen.
Durch Beschl. v. selben Tage hat das LG den Streitwert bis zum 30.5.2022 auf 14.298,01 EUR, bis zum 7.11.2022 auf 16.452,83 EUR und für die Zeit danach auf 5.496,57 EUR festgesetzt. Gegen diesen Streitwertfestsetzungsbeschluss hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten aus eigenem Recht Streitwertbeschwerde eingelegt und beantragt, den Streitwert auf 16.452,83 EUR festzusetzen. Hilfsweise hat sie beantragt, den für die Berechnung der Anwaltsgebühren maßgeblichen Gegenstandswert gem. § 32 Abs. 2 RVG auf eben diese 16.452,83 EUR festzusetzen. Die Streitwertbeschwerde hat sie damit begründet, die gestaffelte Streitwertfestsetzung sei unzulässig. Da diese Festsetzung gem. § 32 Abs. 1 RVG auch für die Anwaltsgebühren maßgeblich sei, sei sie – die Prozessbevollmächtigte der Beklagten – hierdurch beschwert, weil sich infolge der gestaffelten Streitwertfestsetzung die Terminsgebühr nach einem Gegenstandswert von nur 5.096,57 EUR berechne, während bei einer einheitlichen Festsetzung des Streitwertes auf 16.452,83 EUR dieser Betrag gem. § 32 Abs. 1 RVG auch für die Terminsgebühr maßgeblich wäre.
Das LG Hannover hat der Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht abgeholfen. Das OLG Celle hat die Beschwerde als unzulässig verworfen.
II. Streitwertbeschwerde unzulässig
1. Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht beschwert
Nach Auffassung des OLG Celle ist die Prozessbevollmächtigte der Beklagten durch den angefochtenen Streitwertfestsetzungsbeschluss nicht beschwert. Dabei hat das OLG offengelassen, ob die vom LG Hannover vorgenommene gestaffelte Streitwertfestsetzung überhaupt zulässig ist (dagegen OLG Dresden AGS 2022, 463 [Hansens] = JurBüro 2022, 474; OLG Bremen AGS 2022, 92 [N. Schneider] = JurBüro 2022, 141).
Die Streitwertbeschwerde war nach Auffassung des OLG Celle deshalb unzulässig, weil unabhängig von der mit der Beschwerde angestrebten Änderung der Streitwertfestsetzung die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV aus einem Gegenstandswert von 16.452,83 EUR und die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV aus einem Gegenstandswert von 5.496,57 EUR zu berechnen sei. Ein Erfolg der Beschwerde würde daher die Rechtsposition der Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht verbessern.
2. Auswirkungen der Streitwertfestsetzung auf die Anwaltsgebühren
a) Grundsatz
Gem. § 23 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt sich der für die Berechnung der Anwaltsgebühren maßgebliche Gegenstandswert im gerichtlichen Verfahren nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften. Wird der für die Gerichtsgebühren maßgebliche Streitwert gerichtlich festgesetzt, ist diese Festsetzung gem. § 32 Abs. 1 RVG auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgeblich.
b) Ausnahmen
Dies gilt nach Auffassung des OLG Celle jedoch nur dann, wenn der Gegenstand der gerichtlichen mit dem der anwaltlichen Tätigkeit identisch ist. Folglich müsse sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts auftragsgemäß auf denselben Gegenstand bezogen haben, der auch der gerichtlichen Tätigkeit zugrunde gelegen hat (BGH AGS 2018, 60 = RVGreport 2018, 150 [Hansens]).
Soweit sich hingeg...