Die Entscheidung ist jeder Hinsicht zutreffend
1. Keine Ermäßigung der Einigungsgebühr
Während ein Teil der Rspr. hier immer schon eine 1,5-Einigungsgebühr gewährt hat, waren andere Gerichte der Auffassung, das Verfahren über die Erstreckung der PKH führe bereits zur Anhängigkeit i.S.d. Nr. 1003 VV, sodass dies eine Gebührenreduzierung auf 1,0 rechtfertige (OLG Bamberg AGS 2018, 445; LAG Nürnberg AE 2020, 64; LAG München JurBüro 2017, 79).
Der Gesetzgeber hat mit dem KostRÄG 2021 diese Frage geklärt und in der Nr. 1003 VV klargestellt, dass eine Ermäßigung nicht eintritt,
Zitat
"soweit nicht … sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nummer 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 1 und 3 RVG)."
Die Gerichte, die früher anderer Auffassung waren, haben daraufhin ihre Rspr. inzwischen geändert und der neuen Gesetzeslage angepasst (OLG Bamberg NJW-RR 2022, 1588; LAG Nürnberg NJW-Spezial 2021, 637).
Lediglich das LAG München (AE 2022, 121; FA 2022, 103; AGS 2022, 306; Beschl. v. 14.3.2022 – 6 Ta 8/22) hatte sich hartnäckig geweigert, die neue Gesetzeslage zur Kenntnis zu nehmen. Nachdem dort nunmehr seit dem 1.1.2023 die 11. Kammer für die Beschwerdeverfahren nach § 55 RVG zuständig ist, hat diese sich jetzt auch dem Gesetz und der h.M. angeschlossen (Beschl. v. 15.2.2023 – 11 TA 28/23; Beschl. v. 21.2.2023 – 11 Ta 31/23).
2. Keine Mutwilligkeitsprüfung im Vergütungsfestsetzungsverfahren
Eine Prozessführung der bedürftigen Partei kann aus zahlreichen Gründen mutwillig sein. Ein klassischer Fall ist der, dass die Partei bzw. mehrere Parteien vertreten durch denselben Rechtsanwalt verschiedene Klagen einreichen, obwohl ein Vorgehen im Wege einer einheitlichen Klage (Klagenhäufung oder Klageerweiterung) möglich gewesen wäre.
Die Frage, die sich daran anknüpft, ist die, ob die Landeskasse in Gestalt des Urkundsbeamten im Rahmen des Vergütungsfestsetzungsverfahrens (§ 55 RVG) dann noch hingehen darf und im Rahmen der Abrechnung die Mutwilligkeit einwenden kann, wenn der Richter uneingeschränkt Prozesskostenhilfe bewilligt hat.
Die Gesetzessystematik ist eindeutig: Die Mutwilligkeit ist im Bewilligungsverfahren zu prüfen, und zwar vom Richter. Verneint der Richter eine Mutwilligkeit oder prüft er sie erst gar nicht, was in der Praxis häufiger vorkommt, dann ist eine spätere Mutwilligkeitsprüfung im Vergütungsfestsetzungsverfahren ausgeschlossen. Auch dies war bisher herrschende Meinung (BAG NJW 2011, 1161; LAG Hamburg AGS 2016, 433; LAG Mecklenburg-Vorpommern AGS 2016, 588; LAG Nürnberg NZA-RR 2016, 36; LAG Hessen, Beschl. v. 15.10.2012 – 13 Ta 303/12; OLG Hamm AGS 2017, 141; OLG Bremen AGS 2015, 337). Lediglich die 6. Kammer des LAG München (Beschl. v. 17.7.2012 – 10 Ta 281/1 1) war anderer Auffassung. Die jetzt zuständige 11. Kammer hat sich zu Recht der herrschenden Meinung angeschlossen.
3. Andere Rechtslage im Kostenfestsetzungsverfahren
Etwas anderes gilt bei der Kostenerstattung. Hier kann die erstattungspflichtige Partei einwenden, das Vorgehen in getrennten Prozessen sei nicht notwendig, sondern mutwillig gewesen (BGH AGS 2012, 511 = NJW 2013, 66). Der Grund hierfür liegt darin, dass im Kostenfestsetzungsverfahren eine Notwendigkeitsprüfung stattfindet und es hier – im Gegensatz zur PKH-Bewilligung – kein Vorverfahren gibt, in dem die Mutwilligkeit vorab geprüft wird. Werden z.B. in rechtsmissbräuchlicher Weise getrennte Klagen eingereicht, obwohl der Kläger auch in einem einheitlichen Verfahren hätte vorgehen können, dann kann das Gericht diese Klagen ja nicht als unzulässig verwerfen, sondern muss sie, so wie sie gestellt sind, bearbeiten. Hier kann die erstattungspflichtige Partei erst im Nachhinein Einwände erheben, nämlich im Kostenfestsetzungsverfahren.
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 4/2023, S. 176 - 178