Entscheidungsstichwort (Thema)
Einigungsgebühr bezüglich des Mehrwerts eines Vergleichs. Mutwillige Rechtsverfolgung i.S.d. § 114 S. 1 ZPO. Keine Prüfung der Mutwilligkeit im Kostenfestsetzungsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Dem beigeordneten Rechtsanwalt steht eine 1,5 Einigungsgebühr zu, wenn die Bewilligung der Prozesskostenhilfe und die Beiordnung das gesamte Verfahren erfasst. Denn dann liegt jedenfalls auch eine Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zum Abschluss eines Vertrages nach Nr. 1000 VV-RVG vor.
2. Rechtsverfolgung kann mutwillig im Sinne des § 114 S. 1 ZPO sein, wenn eine wirtschaftlich leistungsfähige, also nicht bedürftige Partei bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage von ihr Abstand nehmen oder ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, weil ihr ein kostengünstigerer Weg offensteht und dieser Weg genauso erfolgversprechend ist.
3. Die Frage der Mutwilligkeit kann nicht mehr im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 55 Abs. 1 RVG berücksichtigt werden. Denn mit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist gleichzeitig festgestellt, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig ist.
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Abschluss eines Mehrvergleichs hat der Prozessbevollmächtigte einen Anspruch auf eine 1,5 Gebühr, soweit ein Prozesskostenhilfe bewilligender Beschluss die PKH und die Beiordnung auf den Mehrvergleich ausdrücklich erstreckt hat. Dies gilt auch, wenn das Gericht an dem Verfahren und Vergleichsschluss beteiligt war und nicht nur als "Beurkundungsorgan" fungiert hat.
2. Die Prüfung der Mutwilligkeit erfolgt bei der Bewilligung der Prozesskostenhilfe, somit auch, ob die beabsichtigte Prozessführung kostensparend ist, etwa kostengünstiger im Wege der Klageerweiterung geltend gemacht hätte werden können. Ist die.
3. Prozesskostenhilfe bewilligt ohne Einschränkungen, kann die Mutwilligkeit und die Kostensparung im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 55 RVG nicht mehr geprüft werden (in Anschluss an BAG 6 AZB 3/11; LAG Hamburg 26.05.2016 - 6 Ta 11/16; LAG Nürnberg 22.10.2015 - 2 Ta 118/15; LAG Hessen 15.10.2012 - 13 Ta 303/12), außer in Ausnahmefällen.
4. Somit war der Beschwerde stattzugeben, da hier ein Mehrvergleich jeweils abgeschlossen wurde und die Bewilligung und Beiordnung diesen auch erfasste. Zwar wurden nahezu identische Verfahren für zwei Parteien (Eheleute) getrennt eingereicht, jedoch die PKH jeweils uneingeschränkt bewilligt.
Normenkette
ZPO § 114; RVG §§ 45 ff.; RVG-VV Nr. 1000 Abs. 1; RVG §§ 55, 48 Abs. 1; ZPO § 114 S. 1; RVG-VV Nr. 1003 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Passau (Entscheidung vom 10.01.2023; Aktenzeichen 5 Ca 370/22) |
ArbG Passau (Entscheidung vom 26.09.2022; Aktenzeichen 5 Ca 370/22) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 25.01.2023 werden die Beschlüsse des Arbeitsgerichtes Passau, Az.: 5 Ca 370/22, vom 10.01.2023 und vom 26.09.2022 abgeändert.
2. Die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung wird auf Euro 1780,24 (Anspruch auf weitere Vergütung nach Maßgabe des § 50 RVG: Euro 1568,42) festgesetzt.
Gründe
I.
In dem Verfahren geht es um die Höhe der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung.
Mit Schriftsatz vom 25.05.2022 (Bl. 1/9 d.A.), beim Arbeitsgericht Passau eingegangen am selben Tag, erhob der Beschwerdeführer als Prozessbevollmächtigter der Klägerin für diese Klage auf Zahlung von ausstehender Vergütung für April 2022 in Höhe von 2.423,25 € brutto, eines Arbeitgeberzuschusses für Internetnutzung für April 2022 in Höhe von 50,00 € netto, eines Fahrtkostenzuschusses für April 2022 in Höhe von 126,75 € netto, von Nachtzuschlägen für April 2022 in Höhe von 128,83 € netto sowie einer Urlaubsabgeltung in Höhe von 2.280,00 € (Klageanträge 1 - 5). Mit den Klageanträgen 6 - 10 begehrte die Klägerin die Erteilung mehrerer Arbeitspapiere, nämlich der Meldung zur Sozialversicherung, der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung 2022, eines Zeugnisses, einer Arbeitsbescheinigung und einer Urlaubsbescheinigung. Mit Schriftsatz vom 27.06.2022 (Bl. 30/34 d.A.) machte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Wege der Klageerweiterung ausstehende Vergütung für Mai 2022 in Höhe von 1.429,20 € brutto, einen Arbeitgeberzuschuss für Internetnutzung für Mai 2022 in Höhe von 30,00 € netto, einen Fahrtkostenzuschuss für Mai 2022 in Höhe von 100,80 € netto sowie Entgeltfortzahlung für Nachtzuschläge für Mai 2022 in Höhe von 66,96 € netto geltend. Mit gesondertem Schriftsatz vom 28.06.2022 (Bl. 1/2 d. PKH-Hefts), eingegangen am selben Tag, beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klage, für eventuelle Klageerweiterungen und für einen eventuellen Mehrvergleich nebst seiner Beiordnung. Mit Beschluss vom 29.06.2022 (Bl. 37 d.A.) wurde der Klägerin antragsgemäß Prozesskostenhilfe für die Klage sowie für die Klageerweiterung und für die in einem Vergleich miterledigten...