1. Maßgebend sind zwei Kalenderjahre
Die Entscheidung ist zutreffend. Liegen zwischen der Beendigung einer Angelegenheit und der Beginn einer anderen Angelegenheit, für die eine Gebührenanrechnung vorgesehen ist, mehr als zwei Kalenderjahre, dann ist die Anrechnung ausgeschlossen. Erforderlich sind zwei Kalenderjahre. Zwei Jahre alleine reichen nicht aus. Ein solcher Fall lag hier vor.
2. Vergleichbare Fälle
Vergleichbare Fälle können sich nach einem Mahnverfahren ergeben, wenn nach Widerspruch gegen einen Mahnbescheid die Sache zunächst zwei Jahre nicht betrieben und dann erst die Abgabe an das Streitgericht beantragt wird. In diesem Fall ist die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens auf die Verfahrensgebühr des streitigen Verfahrens nicht anzurechnen (AG Siegburg AGS 2016, 268).
Beispiel
Im November 2021 war gegen den Mahnbescheid Widerspruch eingelegt worden. Im Februar 2024 ist die Durchführung des streitigen Verfahrens beantragt worden.
Weder für den Bevollmächtigten des Antragstellers noch für den des Antragsgegners ist eine Gebührenanrechnung vorzunehmen.
Auch im Falle einer Zurückverweisung kommt ein Anrechnungsausschuss in Betracht (OLG München AGS 2006, 369; OLG Düsseldorf AGS 2009, 212 = RVGreport 2009, 181; OLG Köln OLGR 2009, 601).
Beispiel
Im Oktober 2021 hat das OLG das Berufungsurteil verkündet. Dagegen wurde Revision eingelegt, auf die hin der BGH das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen hat.
Für beide Anwälte scheidet eine Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 6 VV aus.
Darüber hinaus kann auch im Falle eines vorangegangenen Beweisverfahrens ein Anrechnungsausschuss in Betracht kommen (OLG München AGS 2006, 369 = AnwBl 2006, 588; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.2.2010 – I-24 W 2/10; OLG Köln MDR 2009, 1365).
Beispiel
Der spätere Kläger hatte ein Beweisverfahren eingeleitet, das nach Eingang des Gutachtens in 2021 beendet wurde. Im Januar 2024 wird Hauptsacheklage erhoben.
Für beide Anwälte scheidet eine Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 5 VV aus.
3. Abwarten ist kein missbräuchliches Verhalten
Auch der Einwand, die Klägerin habe sich missbräuchlich verhalten, weil sie früher hätte Klage erheben können, greift nicht. Es ist die freie Entscheidung einer Partei, ob und wann sie Klage erhebt. I.Ü. hätte die Beklagte ja eine negative Feststellungsklage erheben können, um die Rechtslage zu klären. Dann wäre die Geschäftsgebühr anzurechnen gewesen.
Ähnlich verhält es sich im Mahnverfahren. Hier kann der Antragsgegner nach § 696 Abs. 1 ZPO selbst den Streitantrag stellen und damit die Zweikalenderjahresfrist unterbrechen und die Anrechnung erzwingen.
Auch nach einem Beweisverfahren kann der Antragsgegner durch einen Antrag auf Fristsetzung zur Hauptsache den Ablauf der Zwei-Kalenderjahres-Frist verhindern.
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 4/2024, S. 159 - 160