Der Spuk ist vorbei

Mit seinem Beschl v. 22.1.2008 (VIII ZB 57/07, AGS 2008, 158) hatte der BGH die jahrzehntelange Kostenfestsetzungspraxis in Anrechnungsfällen auf den Kopf gestellt, indem er entschieden hat, dass die Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des Rechtsstreits (Vorbem. 3 Abs. 4 VV) im Kostenfestsetzungsverfahren immer zu berücksichtigen sei und daher nur die um die Anrechnung gekürzte Verfahrensgebühr festgesetzt werden dürfe. Damit hat der BGH die Büchse der Pandora geöffnet, die nicht nur zum Teil katastrophale Auswirkungen auf die Praxis gehabt hat (insbesondere Reduzierung der Kostenerstattung für den Beklagten; Kürzung des Anspruchs gegen die Landeskasse bei Prozesskostenhilfe), sondern auch zu zahlreichen weiteren Folgeproblemen führt (Anrechnung bei Parteiwechsel, Anrechnung bei vorgerichtlicher Vergütungsvereinbarung, Höhe der anzurechnenden Geschäftsgebühr etc.). Gerade bei der Prozesskostenhilfe hat sich nachteilig ausgewirkt, dass die Oberlandesgerichte letztinstanzlich entscheiden und es daher bundesweit zu einer völlig unterschiedlichen Handhabung der Anrechnungsvorschriften gekommen ist. Die hierzu veröffentlichten Entscheidungen in der AGS zeigen nur die Spitze des Eisbergs.

Der Gesetzgeber ist zwischenzeitlich eingeschritten und hat dem Spuk ein Ende bereitet. Mit dem neuen § 15a RVG wird klar geregelt, wie in Anrechnungsfällen vorzugehen ist. Die Rechtsprechung des BGH wird dann der Vergangenheit angehören.

§ 15a Anrechnung einer Gebühr (1) Sieht dieses Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vor, kann der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. (2) Ein Dritter kann sich auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.

In § 15 Abs. 1 RVG wird das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Auftraggeber geregelt. Es wird klargestellt, dass aufeinander anzurechnende Gebühren zunächst einmal unabhängig voneinander in voller Höhe ungekürzt entstehen. Der Anwalt kann grundsätzlich jede der aufeinander anzurechnenden Gebühren in voller Höhe geltend machen. Allerdings bewirkt die Zahlung einer Gebühr, dass im Umfang der Anrechnung die andere Gebühr erlischt. Der Anwalt kann also letztlich nicht beide Gebühren verlangen, sondern insgesamt nur den um die Anrechnung verminderten Gesamtbetrag.

 
Praxis-Beispiel

Der Anwalt hatte eine 1,5-Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV) und eine 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) verdient. Zunächst einmal stehen dem Anwalt diese beiden Gebühren jeweils gesondert gegen den Auftraggeber zu (§ 15a Abs. 1 RVG).

Wird die Geschäftsgebühr gezahlt, verringert sich automatisch die Verfahrensgebühr um 0,75, so dass der Anwalt dann von dieser Gebühr lediglich noch 0,55 verlangen darf.

Wird die Verfahrensgebühr in voller Höhe gezahlt, dann verringert sich die Geschäftsgebühr um 0,65, so dass der Anwalt insoweit lediglich noch 0,85 verlangen kann.

Die Vorschrift des § 15a Abs. 2 RVG betrifft das Außenverhältnis, also die Kostenerstattung Mandant/Gegner und die Abrechnung mit der Staatskasse.

Ein Dritter kann sich auf die Anrechnung nur dann berufen, wenn er die anzurechnende Gebühr bereits selbst gezahlt hat oder wenn diese gegen ihn bereits tituliert worden ist.

Im Kostenfestsetzungsverfahren wird sich der Erstattungspflichtige also nur dann mit einer Anrechnung verteidigen können, wenn er die anzurechnende Geschäftsgebühr bereits gezahlt hat oder diese bereits gegen ihn tituliert worden ist. Dann darf sie im Umfang der Anrechnung selbstverständlich nicht nochmals im Kostenfestsetzungsverfahren tituliert werden.

 
Praxis-Beispiel

In einem Rechtsstreit klagt der Auftraggeber neben der Hauptforderung eine 1,5-Geschäftsgebühr ein. Der Beklagte wird in der Hauptsache kostenpflichtig verurteilt.

a) Hinsichtlich der Geschäftsgebühr wird die Klage abgewiesen.

b) Der Beklagte wird auch verurteilt, die Geschäftsgebühr zu zahlen.

Im Fall a) kann die volle und ungekürzte Verfahrensgebühr gegen den Beklagten festgesetzt werden, und zwar auch dann, wenn der Auftraggeber bereits die 1,5-Geschäftsgebühr an seinen Anwalt gezahlt hat. In diesem Fall kann sich nämlich nach der neuen Regelung des § 15a Abs. 2 RVG der Erstattungspflichtige nicht auf die Anrechnung berufen.

Im Falle b) kann lediglich eine 0,55-Verfahrensgebühr festgesetzt werden (1,3 - 0,75), da die Geschäftsgebühr in voller Höhe gegen den Beklagten bereits tituliert ist und er insgesamt nicht mehr erstatten muss, als dem Kläger an Kosten überhaupt entstanden ist.

Ebenso wäre in dem selteneren Fall zu rechnen, in dem der Beklagte vorgerichtlich bereits die gesamte Geschäftsgebühr gezahlt hatte.

Auch die Staatskasse ist Dritter. Sie kann sich gem. § 58 Abs. 1 RVG nur auf Zahlungen berufen, die sie selbst geleistet hat, also ledigl...

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