1. Es ist erschreckend, wie Gerichte zum Teil mit den anwaltlichen Gebühren umgehen und wie gering die Kenntnisse im Gebührenrecht sind. Zudem hat man auch den Eindruck – zumindest mal wieder bei dieser Entscheidung –, dass man als Entscheider nicht mal eben in einen Kommentar schaut, um eine Frage/Antwort abzusichern. Da wird offenbar einfach nur im Internet gesucht und die Entscheidung, die zu passen scheint, als das non plus ultra dargestellt, ohne zu hinterfragen, ob das überhaupt die h.M. ist und ob man, wenn man ein wenig gesucht hätte, auf der dann gefundenen Grundlage nicht ggf. anders entscheiden müsste. Aber: Warum soll man sich die Mühe machen? Es ist ja nicht das eigene Geld, um das es geht.
2. Zur Sache: Hätte hier der Amtsrichter mal in einen Kommentar geschaut, er wäre – hoffentlich – zu einer anderen Entscheidung gekommen bzw. hätte kommen müssen.
Im Einzelnen:
a) Schon der Ansatz, die Nr. 4141 Anm. Abs. 1 Nr. 3 VV beziehe sich – nur – auf originäre Cs-Sachen, in denen durch Rücknahme des Einspruchs eine Hauptverhandlungstermin entbehrlich werde, ist falsch. Sie ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Das unterscheidet in Nr. 4141 Anm. Abs. 1 Nr. 3 VV nämlich nicht zwischen einem "originärem" Strafbefehlsverfahren und einem nach § 408a StPO erlassenen Strafbefehl. In der Nr. 3 heißt es einfach nur: "..durch Rücknahme gegen den Strafbefehl …". Dementsprechend wird auch an keiner Stelle in Rspr. oder Lit. bisher die vom AG vertretene Auffassung vertreten. Gott sei Dank,. denn sie widerspricht auch Sinn und Zweck der Nr. 4141 VV, die honorieren soll, dass das Verfahren ohne Hauptverhandlung zu Ende geht, wodurch dem Verteidiger Gebühren, nämlich die Terminsgebühr für die Teilnahme am Hauptverhandlungstermin, verloren gehen. Dafür bietet die Nr. 4141 VV einen Ausgleich. Das gilt aber auch in den Fällen, in denen ggf. ein Strafbefehl nach § 408a StPO erlassen worden und vom Verteidiger, der keinen Kontakt zum Mandanten hat, vorsorglich Einspruch eingelegt worden ist. Diese Fälle sind ja gar nicht so selten. Wird der Einspruch nun nicht zurückgenommen, nimmt das weitere Verfahren den normalen Gang eines Strafbefehlsverfahrens: Es muss nach § 411 StPO Hauptverhandlungstermin anberaumt werden, und es ergeht ggf. dann doch noch ein Urteil. In dem Fall entsteht für den Verteidiger die Terminsgebühr. Die entgeht ihm aber, wenn er den vorsorglich eingelegten Einspruch nach Beratung mit dem Mandanten zurücknimmt, weil dieser mit den vom Strafbefehl angeordneten Rechtsfolgen einverstanden ist. Das ist genau die Interessenlage, die der Gesetzgeber mit der Nr. 4141 VV im Auge hatte (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl., 2021, Nr. 4141 VV Rn 1 ff. m.w.N.). Warum das AG das anders sieht, erschließt sich nicht. Der Hinweis auf AG Bautzen (AGS 2007, 307) führt nicht weiter, da die Verfahrenssituationen nicht vergleichbar sind. Darauf hätte man mit etwas Überlegung auch kommen können.
b) Auch die übrigen Ausführungen des AG stützen die getroffene Entscheidung nicht.
Der Hinweis auf OLG Nürnberg (Rpfleger 2009, 645 = RVGreport 2009, 464 = StRR 2010, 115 = AGS 2009, 534) geht fehl. Abgesehen davon, dass die vom OLG Nürnberg vertretene Auffassung nicht "unstreitig" ist (vgl. die a.A. AG Tiergarten (sic!) RVGreport 2010, 140 = RVGprofessionell 2010, 40 = AGS 2010, 220 = StRR 2010, 400, Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 12 m.w.N.), handelt es sich bei der vom OLG Nürnberg entschiedenen Konstellation auch um einen anderen Fall. Dort war kein Einspruch eingelegt, das Verfahren ging also auf jeden Fall ohne Hauptverhandlung zu Ende. Hier war aber Einspruch eingelegt.
Soweit das AG auf OLG Frankfurt am Main (Beschl. v. 5.3.2011 – 2 Ws 177/11) und OLG Köln (AGS 2006, 339) verweist, ist das ebenfalls nicht zielführend. Die Entscheidung des OLG Köln betraf das Entfallen von Fortsetzungsterminen, womit wir es hier nicht zu tun haben. Und die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main ist nun wahrlich kein Beleg für die offenbar auch vom AG vertretene Auffassung, dass in den Fällen, in denen ein Hauptverhandlungstermin bereits stattgefunden habe, ausgesetzt wurde und nur durch Rücknahme des Rechtsmittels der neu anberaumte Hauptverhandlungstermin entbehrlich werde, die Gebühr nach Nr. 4141 VV nicht entstehe. Denn das ist gerade nicht der Fall, weil es dem Sinn und Zwecke der Nr. 4141 VV widerspricht und wird auch in der Rspr. und Lit. weitgehend anders gesehen (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 45 m. zahlr. w.N.). Gerade an der Stelle hätte dem AG ein Blick in einen Kommentar sicherlich geholfen. Was in dem Zusammenhang der Hinweis auf eine "analoge Anwendung" der Nr. 4141 VV bringen soll, erschließt sich mir nicht.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 5/2021, S. 213 - 214