Eine Ausnahme von der (Sonder-)Regelung in Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV macht S. 3. Danach entsteht die Terminsgebühr bei "geplatztem Termin" nicht, wenn der Rechtsanwalt rechtzeitig von der Aufhebung oder Verlegung des Termins in Kenntnis gesetzt worden ist. Den Begriff "rechtzeitig" definiert das RVG allerdings nicht.
"Rechtzeitig" ist der Rechtsanwalt auf jeden Fall immer dann in Kenntnis gesetzt, wenn er die Fahrt zum Termin noch nicht angetreten hat. Hat er sie bereits angetreten und erfährt er erst dann von der Aufhebung oder Verlegung, ist das nicht mehr rechtzeitig, wenn der Rechtsanwalt nicht mehr umkehren kann, um seine Arbeitszeit anderweitig zu nutzen. Sinn und Zweck der Neuregelung ist es ja gerade, den nutzlosen Zeitaufwand, den der Rechtsanwalt bei einem geplatzten bzw. nicht stattfindenden Termin hat, zu dem er aber dennoch erscheint, zu honorieren. Unzutreffend ist daher die Auffassung des OLG München, das davon ausgeht, dass auch dann, wenn der Rechtsanwalt zu mehreren nacheinander terminierten Hauptverhandlungsterminen angereist ist, von denen einer kurzfristig abgesetzt wird, wovon der Rechtsanwalt aber erst am Gerichtsort erfährt, die Terminsgebühr nicht anfällt.
Der Rechtsanwalt ist allerdings verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihn Terminsabladungen rechtzeitig erreichen. Hat der Verteidiger kurzfristig einen Aufhebungsantrag gestellt, sollte er sich ggfs. vor der Abreise zum Termin erkundigen, ob dieser aufgehoben worden ist und ihn ggfs. nur die Abladung noch nicht erreicht hat. Das LG Neuruppin hat das "Vertretenmüssen" z.B. damit begründet, dass der Verteidiger, der an einem Freitag einen Aufhebungsantrag gestellt hatte, der nach Dienstschluss beim AG eingegangen war, sich vor Abreise zu dem am Montag um 9.30 Uhr terminierten Hauptverhandlungstermin nicht nach der Entscheidung über seinen Aufhebungsantrag erkundigt hat. Es kann aber nicht darauf ankommen, wie nahe die Kanzlei des Rechtsanwalts zum Gericht gelegen ist. Deshalb ist es unzutreffend, wenn das LG Osnabrück darauf abstellt, dass es bei einer telefonischen Aufhebung des Hauptverhandlungstermins nur der Nähe der Kanzlei des Verteidigers zu verdanken ist, dass er vor dem Gericht nicht erscheint. Entscheidend ist, ob der Rechtsanwalt bereits nutzlos Zeit aufgewendet hat.
Beispiel 2
Rechtsanwalt R hat seinen Kanzleisitz in Bremen. Er verteidigt einen Angeklagten bei einer Strafkammer des LG Bonn. Zum um 9.00 Uhr beginnenden Hauptverhandlungstermin reist er am Vortag an. Am Vortag erfährt der Vorsitzende, dass der Hauptbelastungszeuge erkrankt ist. Er verlegt deshalb den Termin. Das erfährt Rechtsanwalt A erst, als er in Bonn eintrifft.
Rechtsanwalt R ist nicht rechtzeitig in Kenntnis gesetzt. Dem Verteidiger kann die Anreise am Vortag auch nicht als Verschulden angelastet werden. Wenn ein Termin zur Hauptverhandlung auf den Vormittag anberaumt ist, ist es nicht missbräuchlich, bei weiterer Entfernung am Vortag anzureisen. Die Terminsgebühr für die Hauptverhandlung ist also nach Nr. 4112 i.V.m. Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV entstanden. Die Ausnahmeregelung des Abs. 3 S. 3 greift nicht ein.
Beispiel 3
Der Rechtsanwalt hat seinen Kanzleisitz in Köln. Er ist Pflichtverteidiger einer der Angeklagten in einem beim OLG München anhängigen Verfahren. In diesem Verfahren sind Hauptverhandlungstermine für den 26., 27. und 28.5.2021 anberaumt. Der Rechtsanwalt hielt sich bereits wegen des Hauptverhandlungstermins vom 26.5.2021 am 26.5.2021 in München auf. An diesem Tag wird der Hauptverhandlungstermin vom 27.5.2021 abgesetzt und der Rechtsanwalt abgeladen. Er hat beantragt, auch für den ausgefallenen Hauptverhandlungstag am 27.5.2021 eine Terminsgebühr Nr. 4121 VV in Ansatz zu bringen.
Das OLG München hat das – unzutreffend – abgelehnt. Zur Begründung wird auf den Ausnahmecharakter der Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV und darauf verwiesen, dass dem Rechtsanwalt, selbst wenn man davon ausgehe, dass er "erschienen" sei, bekannt gewesen sei, dass der Termin am 27.5.2021 nicht stattfinde. Das ist schon deshalb falsch, weil danach auch eine Abladung, die den Rechtsanwalt erst vor Ort erreicht, immer (noch) rechtzeitig ist/wäre. Der Rechtsanwalt könnte in solchen Fällen also nie die Festsetzung einer Terminsgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV erreichen, weil ihm immer S. 3 entgegen gehalten werden könnte.