§ 121 ZPO
Leitsatz
Wird ein außerhalb des Gerichtsbezirks ansässiger Anwalt zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalts beigeordnet, so können dessen Übernachtungskosten gleichwohl aus der Landeskasse zu erstatten sein, wenn gleichzeitig andere Kosten vermieden werden, die bei einem im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalt angefallen wären.
LG Siegen, Beschl. v. 3.2.2022 – 2 O 236/21
I. Sachverhalt
Die nicht im Gerichtsbezirk ansässige Klägerin hatte vor dem LG Siegen zunächst ein Beweisverfahren durchgeführt. Hierfür war ihr Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt und ein an ihrem Wohnsitz niedergelassener Anwalt beigeordnet worden. Nach Abschluss des Beweisverfahrens reichte die Klägerin Hauptsacheklage ein und beantragte, auch für das Hauptsacheverfahren PKH unter Beiordnung ihres bisherigen Prozessbevollmächtigten zu bewilligen. Das LG bewilligte die PKH und ordnete den auswärtigen Anwalt zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalts bei. Nach Abschluss des Verfahrens meldete der Prozessbevollmächtigte seine Kosten zur Festsetzung gegenüber der Landeskasse an, wobei er einerseits die Anrechnung der Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 5 VV berücksichtigte, andererseits aber Reise- und Übernachtungskosten ansetzte. Die Urkundsbeamtin hat die Reise- und Übernachtungskosten lediglich i.H.d. Reisekosten einer höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks festgesetzt. Die hiergegen erhobene Beschwerde hatte Erfolg.
II. Reisekosten sind im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen
1. Reisekosten unmittelbar nicht gedeckt
Auszugehen ist von dem rechtskräftig gewordenen Beschluss, wonach der Prozessbevollmächtigte zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalts beigeordnet worden sei. Danach hätte der Prozessbevollmächtigte grds. nur Anspruch auf die gesetzlichen Gebühren und die Auslagen – insbesondere Reisekosten – die bei einem Anwalt aus dem Gerichtsbezirk unter Berücksichtigung der höchstmöglichen Entfernung im Bezirk angefallen wären. Ausgehend hiervon wären die Übernachtungskosten nicht anzusetzen, da ein Anwalt im Gerichtsbezirk für die Terminswahrnehmung keine Übernachtung benötigt hätte.
2. Ersparte Gebühren sind gegenzurechnen
Diese Betrachtung alleine greife jedoch nicht. Man müsse vielmehr eine Gesamtbetrachtung vornehmen. Ein Anwalt aus dem Gerichtsbezirk hätte zwangsläufig höhere Gebühren erhalten, da er ja im selbstständigen Beweisverfahren nicht tätig gewesen wäre und demzufolge sich die Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens im Rechtsstreit nicht hätte anrechnen lassen müssen. Gegenüber dem beigeordneten Anwalt wäre also zusätzlich eine 1,3-Verfahrensgebühr angefallen. Diese Gebühr ist aber dadurch vermieden worden, dass der bisher im Beweisverfahren tätige Anwalt beigeordnet worden sei. Da seine Reise- und Übernachtungskosten geringer ausgefallen sind als die Verfahrensgebühr, die zusätzlich angefallen wäre, liegen damit die Kosten des auswärtigen Anwalts unter den Kosten eines Anwalts im Gerichtsbezirk. Daher sind seine Kosten voll aus der Landeskasse zu übernehmen.
III. Die Vergleichsberechnung
Aus dem Sachverhalt ergibt sich nicht, wie hoch die Reise- und Übernachtungskosten waren.
Daher sollen die Gründe der Entscheidung an folgendem Beispiel erläutert werden:
Beispiel
Im selbstständigen Beweisverfahren wird zunächst ein außerhalb des Gerichtsbezirks niedergelassener Anwalt beigeordnet, der bei einem Streitwert von 20.000,00 EUR folgende Vergütung verdient:
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG |
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518,70 EUR |
2. |
Postpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
538,70 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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102,35 EUR |
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Gesamt |
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641,05 EUR |
Nunmehr wird dieser Anwalt im nachfolgenden Rechtsstreit zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalts beigeordnet. Ein im Gerichtsbezirk ansässiger Anwalt hätte sich die Verfahrensgebühr des vorangegangenen Beweisverfahrens nicht anrechnen lassen müssen. Er hätte folgende Vergütung als der Landeskasse erhalten:
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG |
|
518,70 EUR |
2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV, § 49 RVG |
|
478,80 EUR |
3. |
Postpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
1.017,50 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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193,33 EUR |
|
Gesamt |
1.210,83 EUR |
Für den auswärtigen Anwalt, der sich ja die Verfahrensgebühr des Beweisverfahrens nach Vorbem. 3 Abs. 5 VV anrechnen lassen muss, sind dagegen nur folgende Gebühren angefallen:
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG |
|
518,70 EUR |
2. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 5 VV anzurechnen, |
|
– 518,70 EUR |
|
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG |
|
|
3. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV, § 49 RVG |
|
478,80 EUR |
4. |
Postpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
|
|
Zwischensumme |
498,80 EUR |
|
5. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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94,77 EUR |
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Gesamt |
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593,57 EUR |
Es ergibt sich also hinsichtlich der Gebühren ein Minderbetrag i.H.v. (1.210,83 EUR – 593,57 EUR =) 617,26 EUR, den die Landeskasse also faktisch "einspart".
Dann muss aber auf der anderen Seite berücksichtigt werden, dass Reisekosten bis zu dieser Höhe dem auswärtigen Anwalt zu ers...