§ 51 RVG; Nrn. 4100, 4104 VV RVG
Leitsatz
Zur Gewährung einer Pauschgebühr, wenn sich der Pflichtverteidiger in eine umfangreiche Ermittlungsakte einarbeiten musste.
OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.2.2023 – 1 ARs (KostR) 8/22
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger des Angeklagten. Er hat nach Abschluss des Verfahrens anstelle der gesetzlichen Gebühren eine Pauschgebühr i.H.v. 2.682,00 EUR beantragt. Sein Antrag hatte nur teilweise Erfolg. Das OLG hat 354,00 EUR bewilligt.
II. Voraussetzungen für eine Pauschgebühr nach § 51 RVG
Gem. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG sei Voraussetzung für die Bewilligung einer Pauschgebühr, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgehe, dass diese wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache nicht zumutbar seien. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stelle dabei die Ausnahme dar und komme lediglich in Betracht, wenn die anwaltliche Mühewaltung sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abhebe (vgl. BGH, Beschl. v. 1.6.2015 – 4 StR 267/11, NJW 2015, 2437 = AGS 2016, 5) und die Gewährung eines Pauschbetrags zum Ausgleich eines unzumutbaren Missverhältnisses angezeigt erscheine (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.3.2010 – 1 AR 11/10). Bei der Beurteilung sei ein objektiver Maßstab zugrunde zu legen. Entscheidend sei, ob die konkrete Strafsache selbst umfangreich gewesen und infolge dieses Umfangs eine zeitaufwändigere, gegenüber anderen Verfahren erhöhte Tätigkeit des Verteidigers erforderlich geworden sei (vgl. BGH, Beschl. v. 15.1.2020 – 1 StR 492/15, RVGreport 2020, 168 = NStZ-RR 2020, 160). Dabei sei nur der Zeitaufwand berücksichtigungsfähig, der allein aus verfahrensbezogenen Tätigkeiten des Pflichtverteidigers herrühre, nicht hingegen solcher, der seinen Grund in nur verteidigerbezogenen persönlichen Umständen habe (vgl. BGH, a.a.O.).
III. Konkreter Fall
Nach diesen Maßstäben stehe dem Antragsteller die Pauschgebühr nur im tenorierten Umfang zu.
1. Gesetzliche Gebühren
Die gesetzlichen Gebühren des Antragstellers für seine nach Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitte 1 und 2 VV erfassten Tätigkeiten bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens bei einem nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten betragen insgesamt 393,00 EUR, die sich aus der Grundgebühr (Nrn. 4100, 4101 VV) i.H.v. 216,00 EUR und der Verfahrensgebühr (Nrn. 4104, 4105 VV) i.H.v. 177,00 EUR zusammensetzen. Darüber hinaus sei nach Unterabschnitt 5 eine bislang nicht geltend gemachte, als Wertgebühr der Festsetzung einer Pauschgebühr nicht zugängliche (§ 51 Abs. 1 S. 2 RVG) Gebühr für das Einziehungsverfahren (Nr. 4142 VV) i.H.v. 447,00 EUR entstanden.
2. (Nur) Verdoppelung der Verfahrensgebühr
Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Pflichtverteidigers in seinem Antrag und den ihm zur Kenntnis gebrachten Erwägungen der Staatskasse rechtfertige die Strafsache eine Vergütung, die die bezeichneten gesetzlichen Gebühren übersteige. Das Schwergewicht der Arbeit des Pflichtverteidigers liege in der erstmaligen Einarbeitung in die Ermittlungsakten, die mit etwa 6.600 Seiten deutlich über dem üblichen Umfang derartiger Verfahren gelegen haben. Insoweit stelle das Studium umfangreicher Akten im Ermittlungsverfahren ein wesentliches Indiz für das weit überdurchschnittliche Ausmaß dar (vgl. BT-Drucks 15/1971, 201). Auch wenn die reine Blattzahl allein nicht ausschlaggebend für die Bemessung des tatsächlich erbrachten und mithin zu vergütenden Tätigkeitsumfanges sei, so sei gleichwohl in den Blick zu nehmen, dass dem Verfahren insoweit eine Vielzahl von Betrugsfällen zugrunde gelegen habe, was zugleich mit einem nicht unerheblichen Besprechungsbedarf mit dem Beschuldigten einhergegangen sei.
Vor diesem Hintergrund erscheine es angebracht, anstelle der gesetzlichen Verfahrensgebühr nach Nrn. 4104, 4105 VV das Doppelte derselben, mithin 354,00 EUR anzusetzen (vgl. zur Verdopplung in vergleichbaren Fällen etwa OLG Oldenburg, Beschl. v. 24.6.2020 – 1 ARs (KostR) 5/20 [n.v.]). Die Gewährung einer höheren Pauschvergütung und – wie ebenfalls beantragt – eine gleichzeitige Erhöhung auch der gesetzlichen Gebühr des Antragstellers für seine nach Nrn. 4100, 4101 VV erfasste Tätigkeit sei hingegen nicht in Betracht gekommen. Denn im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. KG, Beschl. v. 2.10.2015 – 1 ARs 26/13, RVGreport 2016, 16) sei es angemessen und ausreichend erschienen, den Zeitaufwand insbesondere bezüglich der Einarbeitung in die Ermittlungsakten lediglich mit der Erhöhung der Verfahrensgebühr abzugelten (vgl. Senat, a.a.O.).
3. Besuche in der JVA
Daran könne auch der durch die Besuche des Mandanten in den beiden Justizvollzugsanstalten entstandene Aufwand des Antragstellers nichts ändern. Denn – entgegen dessen Auffassung – habe das BVerfG (Beschl. v. 20.3.1997 – 2 BvR 51/07, AGS 2007, 504 = RVGreport 2007, 263 = NJW 2007, 3420; ähnlich BGH, a.a.O.) sehr wohl den gebührenrechtlichen Ansatz, wonach der dahingehende Aufwand zum einen durch den – beim nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten gesetzlich verankerten – Zuschlag zu den jeweils entstehenden Gebühr...