Vorbem. 4.1, Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG

Leitsatz

Die von einem Rechtsanwalt im Rahmen der Wahrnehmung eines Haftverkündungstermins entfalteten Handlungen sind nicht lediglich als Einzeltätigkeit i.S.v. Teil 4 Abschnitt 3 VV, namentlich nicht als Beistandsleistung bei einer richterlichen Vernehmung nach dessen Nr. 4301 VV, anzusehen, sondern als Tätigkeit eines Verteidigers nach Teil 4 Abschnitt 1 VV. Ihm stehen daher Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr zu.

OLG Köln, Beschl. v. 24.1.2024 – 3 Ws 50/23

I. Sachverhalt

Gegen den Angeklagten erging durch das AG Ingolstadt am 8.3.2023 u.a. wegen des Vorwurfs des versuchten Totschlags ein Haftbefehl. Hierauf wurde er am 28.3.2023 vorläufig festgenommen und am Folgetag dem AG Bonn vorgeführt. Nach Anhörung des bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht verteidigten Angeklagten beschloss das AG in dem Vorführungstermin die Beiordnung von Rechtsanwältin E gem. § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO "für den heutigen Termin als Pflichtverteidigerin" und für das weitere Verfahren gem. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO diejenige von Rechtsanwalt K aus P. Im Termin erklärte Rechtsanwältin E für den Angeklagten, es würden zu den Tatvorwürfen keine Angaben gemacht, und machte Ausführungen zum ihrer Auffassung nach Nichtvorliegen des Haftgrundes.

Rechtsanwältin E hat an Gebühren und Auslagen aus der Staatskasse verlangt: eine Grundgebühr Nr. 4101 VV, eine Terminsgebühr Nr. 4103 VV und eine Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV nebst Postenentgeltpauschale und Umsatzsteuer. Die Urkundsbeamtin des AG Bonn hat demgegenüber lediglich eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit gem. Nr. 4301 Nr. 4 VV nebst Postentgeltpauschale und Umsatzsteuer festgesetzt. Dagegen hat Rechtsanwältin E Erinnerung eingelegt, die das AG zurückgewiesen hat. Auf die hiergegen erhobene Beschwerde hat das LG dem Festsetzungsantrag von Rechtsanwältin E entsprochen und zudem die weitere Beschwerde zugelassen. Das LG ist der Auffassung, dass die Tätigkeit von Rechtsanwältin E gem. Teil 4 Abschnitt 1 VV abzurechnen sei. Gegen die Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Bezirksrevisorin beim LG. Das OLG hat die weitere Beschwerde der Landeskasse verworfen.

II. Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV

Zu Recht hat das LG nach Auffassung des OLG Köln angenommen, dass Rechtsanwältin E ihre Tätigkeit nach Teil 4 Abschnitt 1 VV abrechnen kann. Die von ihr im Rahmen der Wahrnehmung des Haftverkündungstermins vom 29.3.2023 entfalteten Handlungen seien nicht lediglich als Einzeltätigkeit i.S.v. Teil 4 Abschnitt 3 VV, namentlich nicht als Beistandsleistung bei einer richterlichen Vernehmung nach dessen Nr. 4301 VV anzusehen, sondern als Tätigkeit eines Verteidigers nach Teil 4 Abschnitt 1 VV.

1. Teil 4 Abschnitt 1 VV

Teil 4 Abschnitt 1 VV regele die Vergütung des Verteidigers. Diese sei dabei unabhängig davon zu bemessen, ob die Verteidigung als Wahl- und Pflichtverteidigung durchgeführt werde. Liege ein Verteidigungsverhältnis vor, mache es grds. auch keinen Unterschied, ob sich die Tätigkeit – insbesondere in den Fällen des sog. "Terminsvertreters" – auf die Wahrnehmung eines einzelnen Termins beschränkt. Dies gelte für die Fälle der Pflichtverteidigung auch dann, wenn sich die vorangegangene Bestellung durch das Gericht nur auf einen bestimmten Termin bezogen habe. Dies habe das OLG Köln bereits für die auf einen einzelnen Hauptverhandlungstag beschränkte Beiordnung eines Pflichtverteidigers entschieden (OLG Köln, Beschl. v. 26.3.2010 – 2 Ws 129/10, AGS 2011, 286 = RVGreport 2010, 462). Dieser Rspr. des 2. Strafsenats schließe sich der Senat an. Auch wenn sich die Wahrnehmung der Pflichtverteidigung auf einen oder mehrere einzelne Termine beschränke, begründe die Beiordnung ein eigenständiges Beiordnungsverhältnis, in dessen Rahmen der Pflichtverteidiger die Verteidigung umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen habe. Eine gebührenrechtlich unterschiedliche Behandlung dieses Verteidigers gegenüber dem Hauptverteidiger würde dem nicht gerecht und ließe eine Entwertung des Instituts der Pflichtverteidigung und damit einhergehend des Rechtes des Angeklagten auf eine effektiven rechtsstaatlichen Grundsätzen genügenden Verteidigung besorgen (vgl. OLG Köln, a.a.O.; OLG München, Beschl. v. 23.10.2008 – 4 Ws 140/08, NStZ-RR 2009, 32; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.7.2008 – 3 Ws 281/08, NJW 2008, 2935 = AGS 2008, 488).

2. Verteidigung im Rahmen einer Haftbefehlseröffnung

Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des OLG nicht nur für die Verteidigung im Rahmen der Hauptverhandlung, sondern auch für andere Tätigkeiten wie vorliegend die Verteidigung im Rahmen einer Haftbefehlseröffnung nach § 115 StPO (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 7.6.2023 – 1 Ws 105/23, AGS 2023, 310 = StraFo 2023, 335 = StRR 11/2023, 41).

Soweit aus der von der Bezirksrevisorin angeführten Entscheidung des 2. Strafsenats des OLG Köln v. 15.5.2007 (2 Ws 189/07, AGS 2007, 452 = RVGreport 2007, 306) anderes folgen sollte, schließe sich der Senat dem nicht an. Es bestehe kein sachlich gerechtfertigter Anlass, die Verteidigung im Verfahren nach § 115 StPO geb...

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