Vorbem. 4 Abs. 1, Nrn. 4100, 4106, 4108 VV RVG

Leitsatz

Aus der im Bestellungsbeschluss betreffend die Pflichtverteidigerbestellung vorgenommenen Beschränkung der Bestellung "für den heutigen Hauptverhandlungstag" ergibt sich nicht, dass dem als Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalt für seine Tätigkeit lediglich die für den Hauptverhandlungstag angefallene Terminsgebühr zustünde.

LG Neuruppin, Beschl. v. 25.3.2024 – 11 Qs 76/23

I. Sachverhalt

Dem Verurteilten ist mit Beschluss des AG Rechtsanwalt R1 als Pflichtverteidiger bestellt worden. In der Folgezeit wurde die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Strafrichter an drei Verhandlungstagen durchgeführt, wobei Rechtsanwalt R1 an den ersten beiden Verhandlungstagen als Verteidiger mitwirkte. Nachdem am Morgen des dritten Verhandlungstages eine Mitteilung beim AG eingegangen war, dass Rechtsanwalt R1 erkrankt und daher an einer Terminsteilnahme verhindert sei, zog der Strafrichter den – in unmittelbarer Nähe des AG kanzleiansässigen – Rechtsanwalt R2 hinzu und beschloss zu Verhandlungsbeginn – nach Anhörung des Vertreters der Staatsanwaltschaft, des Angeklagten und des Rechtsanwalts selbst – wie folgt:

Zitat

"Dem Angeklagten wird für den heutigen Hauptverhandlungstag Rechtsanwalt pp. aus pp. als notwendiger Verteidiger beigeordnet."

Unmittelbar anschließend erfolgte sodann – die Beweisaufnahme war bereits am vorigen Hauptverhandlungstag geschlossen worden, auch waren anschließend bereits sämtliche Schlussanträge gehalten worden und dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden – die Urteilsverkündung.

Rechtsanwalt R 2 hat die Festsetzung seiner Vergütung beantragt und die Grundgebühr Nr. 4100 VV, die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV und die Termingebühr Nr. 4108 VV nebst Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV und Umsatzsteuer beantragt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des AG hat lediglich die Terminsgebühr nebst Umsatzsteuer festgesetzt. Gegen diese Festsetzung hat Rechtsanwalt R 2 Erinnerung eingelegt, die der Strafrichter als unbegründet zurückgewiesen hat. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Rechtsanwalts R 2 hatte, nachdem der Einzelrichter die Entscheidung auf die Kammer übertragen hat, beim LG Erfolg. Nach Auffassung des LG waren die Gebühren – wie von Rechtsanwalt R 2 beantragt – festzusetzen.

II. Terminsvertreter ist voller Verteidiger

Ausgangspunkt der Prüfung der einem Pflichtverteidiger aus der Landeskasse zu zahlenden Vergütung sei dabei stets – wie das AG grds. zutreffend angenommen habe – die gerichtliche Bestellungsentscheidung. Enthalte bereits der Bestellungsbeschluss als Grundentscheidung Einschränkungen der Pflichtverteidigerbestellung in zeitlicher, inhaltlicher oder gebührentechnischer Hinsicht, so obliege es dem bestellten Pflichtverteidiger – soweit er diese Einschränkungen als rechtswidrig und ihn selbst beschwerend ansehe –, bereits die Bestellungsentscheidung selbst aus eigenem Recht mit dem in § 142 Abs. 7 S. 1 StPO eröffneten Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde anzufechten. Eine inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit von in die Bestellungsentscheidung aufgenommenen Beschränkungen erst im Vergütungsfestsetzungsverfahren, wie sie Rechtsanwalt R 2 hier offenbar für tunlich erachte, scheide hingegen aus.

Entgegen der Ansicht des AG und des Bezirksrevisors ergebe sich hier jedoch aus der im Bestellungsbeschluss vorgenommenen Beschränkung der Bestellung "für den heutigen Hauptverhandlungstag" gerade nicht, dass dem Rechtsanwalt für seine Tätigkeit lediglich die für den Hauptverhandlungstag vom 26.4.2022 angefallene Terminsgebühr zustünde. So stelle eine allein in zeitlicher Hinsicht limitierte Pflichtverteidigerbestellung gleichwohl eine inhaltlich und gebührentechnisch vollumfängliche – wenn auch eben auf einen bestimmten Tätigkeitszeitraum beschränkte – Bestellung dar, weshalb auch der lediglich für einen bestimmten – sei es noch so kurzen – Zeitraum gerichtlich – sprich durch hoheitlichen Akt – bestellte Verteidiger vorbehaltlich des Hinzutretens besonderer Umstände sowohl berufsrechtlich als auch zivilrechtlich gegenüber seinem Mandanten zu einer umfassenden Führung der Verteidigung verpflichtet sei. Deshalb könne er die für die Einarbeitung in das Verfahren anfallende Grundgebühr, die für das jeweilige Verfahrensstadium vorgesehene Verfahrensgebühr sowie – falls in den Bestellungszeitraum wie hier eine Terminsteilnahme fällt – auch die entsprechende Terminsgebühr beanspruchen könne.

III. "Handreichungen" zur Vermeidung von Mehrbelastung der Landeskasse

1. Bestellungsbeschluss

Die Kammer verkenne dabei keinesfalls, dass sich hierdurch nicht unerhebliche Mehrkosten für die Landeskasse bzw. letztendlich für den zumeist verfahrenskostenpflichtigen Angeklagten ergeben, und daher insbesondere im Rahmen mehrtägiger Hauptverhandlungen – in erster Linie vor großen Strafkammern – ein legitimes Bedürfnis aller Verfahrensbeteiligten besteht, diese Mehrkosten so gut es geht zu vermeiden bzw. gering zu halten. In den meisten Fällen einer notwendig werdenden "Terminsvertretung" des für das gesamte Verfahren regulär bestellten Pflichtverteidigers bestehe dabei jedoch auch nach A...

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