Die Entscheidung lässt einen, zumindest mich, teilweise ratlos, um nicht zu sagen fassungslos, zurück (vgl. dazu nachfolgend 3.).

Im Einzelnen:

1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft

Zunächst: Es befremdet mich schon, wenn ich lese, dass die Staatsanwaltschaft offenbar Zeit hatte, gegen die Erstreckungsentscheidung des AG Beschwerde einzulegen. Ich kann mich nicht erinnern, bisher eine Entscheidung gesehen zu haben, in welcher die Staatsanwaltschaft so vorgegangen ist. Da stellt man sich schon die Frage, ob man bei der Staatsanwaltschaft Siegen eigentlich nichts anderes zu tun hat, als sich auch mit der Vergütung des Verteidigers auseinander zu setzen und die Beschwerde auch noch recht ausführlich, wenn auch falsch, zu begründen. Die Frage stellt sich vor allem deshalb, weil die Staatsanwaltschaft offenbar keine Zeit oder auch keine Lust hatte, die vom Verteidiger gestellten Beiordnungsanträge (rechtzeitig) an das AG weiterzuleiten, was dem Verteidiger, dem AG und auch dem LG eine Menge Arbeit erspart hätte, weil sich dann die Problematik des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG nicht gestellt hätte. Also vielleicht doch ein wenig mehr auf die eigentlichen Aufgaben besinnen, getreu dem Motto "Schuster bleib bei den Leisten", wozu ich die gebührenrechtlichen Fragen bei der Staatsanwaltschaft nicht unbedingt zähle.

2. Zulässigkeit der Beschwerde

a) Den Ausführungen des LG zur Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft kann man folgen. Ich hatte bereits in meiner Anmerkung zur o.a. Entscheidung des OLG Bremen (vgl. RVGreport 2020, 298 = StRR 10/2020, 35 = AGS 2020, 470) darauf hingewiesen, dass die vom OLG vertretende Auffassung, eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen eine Erstreckungsentscheidung sei nicht mehr gegeben, falsch ist. Das wiederholt das LG.

b) Zutreffend ist es auch, dass auch die Staatsanwaltschaft beschwerdebefugt ist, auch wenn sie im Zweifel, anders als hier, in der Regel kein Rechtsmittel einlegen wird. Das ändert nichts daran, dass eine Regelung, wonach die Staatsanwaltschaft nicht beschwerdebefugt sein soll, nicht erkennbar ist. Und schließlich: Zutreffend ist es ebenfalls, als Rechtsmittel das der einfachen – nicht fristgebundenen – Beschwerde anzunehmen, auch wenn es sich um eine Entscheidung in Zusammenhang mit Pflichtverteidigungsfragen handelt, für die die StPO nach den 2019 erfolgten gesetzlichen Neuregelungen jetzt das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde vorsieht (s. z.B. § 142 Abs. 7 StPO). Bei der Erstreckung stehen aber gebührenrechtliche Probleme im Vordergrund (vgl. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 48 Rn 42 f.). Es bleibt aber bei dem Rat an Pflichtverteidiger, gegen für sie nachteilige Erstreckungsentscheidungen unter Beachtung von § 311 Abs. 2 StPO (sofortige) Beschwerde einzulegen.

3. Zu den Tätigkeiten des Pflichtverteidigers

Und was lässt den Leser der Entscheidung nun ratlos, wenn nicht fassungslos zurück? Nun, das sind die Ausführungen des LG zu den konkreten Tätigkeiten des Rechtsanwalts/Pflichtverteidigers (s. V., 3.). Sie offenbaren m.E. dann doch bei der entscheidenden Strafkammer einen erheblichen Mangel an gebührenrechtlichen Grundkenntnissen.

a) Erstreckungsentscheidung ist Ermessensentscheidung

Zutreffend ist es (noch), wenn die Strafkammer darauf verweist, dass die Erstreckungsentscheidung nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG eine "Ermessensentscheidung" ist, die natürlich voraussetzt, dass in dem Verfahren, auf das erstreckt werden soll, die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung nach §§ 140 ff. StPO vorgelegen haben (vgl. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 48 Abs. 6 RVG Rn 34 m.w.N.). In dem Zusammenhang beruhigt es den im Strafrecht Tätigen, wenn das LG dies nicht verneint. Denn: Die Beschuldigte stand unter Betreuung und die Fragen der §§ 20, 21 StGB waren in den vielen Verfahren verteidigungsrelevant. Damit waren die Voraussetzungen der "Unfähigkeit der Selbstverteidigung" i.S.v. § 140 Abs. 2 StPO gegeben.

b) Tätigkeiten erbracht

Grds. zutreffend ist es auch, wenn das LG ausführt, dass eine Erstreckung nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG nur in Betracht kommt, wenn der Rechtsanwalt in dem oder den Verfahren, auf die erstreckt werden soll, Tätigkeiten erbracht hat. Denn, wenn der Rechtsanwalt in dem Verfahren nicht tätig geworden ist, sind keine Gebühren entstanden. Eine Erstreckung ginge ins Leere (s. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 48 Abs. 6 RVG Rn 31 f.; OLG Rostock, Beschl. v. 25.11.2013 – Ws 359/13, AGS 2014, 178). Und an dieser Stelle liegt dann der grobe Fehler, den das LG macht und der einen – immerhin handelt es sich um eine Beschwerdekammer, die in "Dreierbesetzung" entschieden hat – ratlos, wenn nicht fassungslos zurücklässt. Denn das LG meint, in den Verfahren, auf die erstreckt werden sollte, seien bei dem Pflichtverteidiger keine Gebühren entstanden. Aber: Tatsächlich sind dem Pflichtverteidiger doch Gebühren entstanden, und zwar, da man sich noch im Verfahrensstadium "Ermittlungsverfahren" befunden hat (vgl. Anm. zu Nr. 4104 V...

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